A 310 Flug 593 Absturz in Sibirien

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Kilo Mike Sierra
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Re: A 310 Flug 593 Absturz in Sibirien

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Sa 25. Apr 2009, 23:04

Nein, sich selbst entrudelnde Verkehrsflugzeuge gibt es noch nicht.

Zur Erinnerung zitiere ich noch einmal den Eindruck, den DDR-WMK beim Anschauen des Fernsehberichtes vermittelt bekam: "Als das Unglück von Experten nachgestellt wurde, ergab die Untersuchung, daß man den Airbus aus dem Trudeln wieder in Normallage hätte bringen können - Einfach das Steuerhorn loslassen! Die Maschine geht dann automatisch aus dem Trudeln in Normallage."
Der erste Teil der Aussage ist ja richtig, der zweite klingt jedoch überaus abenteuerlich. Automatisch aus dem Trudeln in Normallage?! Das wäre wunderbar.

Vielleicht war es ja die folgende Aussage der Experten, die ein wenig "überinterpretiert" worden ist: "Zweifellos hätte das Flugzeug unter Kontrolle gebracht werden können, wenn die Steuersäule in dieser Phase wenigstens bis in die Neutralposition zurückgenommen worden wäre. Weil jedoch das Höhenruder in maximal gezogener Stellung verblieb, begann das Flugzeug erneut, die Nase hochzunehmen und die angzeigte Fluggeschwindigkeit begann zu schwanken und wieder abzunehmen."
Quelle: Air Disaster (Band 3) von Macarthur Job, Seite 116

Hier ist eine Beschreibung der "Flugphase", die den Kontext zu oben zitierter Feststellung bildet:
Nachdem das Flugzeug anfangs unbemerkt außer Kontrolle geraten und im Sturzflug 740 km/h (400 kts) bei einer Sinkgeschwindigkeit von 200 m/s (40.000 fpm) erreicht hatte, wurde das Höhenruder bis zum Anschlag(!) gezogen und auch der als Trimmung fungierende Stabilisator (Höhenflosse) ging auf Anschlag. Als Folge nahm das Flugzeug die Nase sehr abrupt wieder nach oben, wobei das Lastvielfache auf immense 4,7 g anstieg (Limit 2,5 g). Nun war es unvermeidlich, daß der Airbus 310 sofort tief in den überzogenen Flugzustand geriet.

Hier geht es also noch gar nicht um das Trudeln, sondern um das Abfangen aus dem Sturzflug, ohne das Flugzeug zu überziehen oder sogar zu zerlegen. Es war in der Tat unmöglich, das Flugzeug in einem normalen Flugzustand zu stabilisieren, solange das Höhenruder (und sogar der Stabilisator) bis zum Anschlag auf schwanzlastig standen. Dadurch wurde das eine Übel (Sturzflug) nur durch ein anderes (Überziehen) ersetzt.

Aus Gründen, die nicht vollständig rekonstruiert werden konnten, wurde danach plötzlich das Seitenruder um 8 Grad nach links ausgeschlagen, was das bereits weit überzogene Flugzeug nun auch noch ins Trudeln brachte. Erst nach ca. einer Minute gelang es, das Flugzeug in 300 bis 400 m Höhe aus dem Trudeln auszuleiten. Leider betrug die Sinkgeschwindigkeit zu dieser Zeit immer noch 70 m/s (14.000 fpm), so daß das Flugzeug nur 5 Sekunden später während des Abfangens aufschlug.

Das ist eine stark verkürzte Beschreibung des Ablaufs, wobei ich nicht auf das umfangreiche Geschehen eingegangen bin, was anfänglich zum Verlust der Steuergewalt geführt hat. Die Ereigniskette war sehr lang. Die Untersuchungskommision ermittelte insgesamt 17 Faktoren, die in ihrer harmlos beginnenden Abfolge zu diesem Unfall geführt haben.

Es ist wieder ein Aufsatz geworden.
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Re: A 310 Flug 593 Absturz in Sibirien

Ungelesener Beitragvon DDR-WMK » So 26. Apr 2009, 13:13

Kilo Mike SIerra hat geschrieben:Es ist wieder ein Aufsatz geworden.

Ja , das ist es KMS ! Aber ein sehr guter , sehr schön dargestellt und beantwortet eigentlich alle meine Fragen ! Für mich war es schon sehr schwer vorstellbar mit welcher " Leichtigkeit " ( laut Fernsehbericht ) der Unfall hätte vermieden werden können . Aber wie es eigentlich immer so ist bei einem Flugzeugunglück , es reihen sich immer einige Pannen aneinander , was dann zur endgültigen Katastrophe führt .
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Kilo Mike Sierra
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Re: A 310 Flug 593 Absturz in Sibirien

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mo 29. Jun 2020, 20:40

Aerotelegraph.com hat im März mit einem Artikel diesen Unfall noch einmal in Erinnerung gerufen. Leider ist der Artikel weit unter dem üblichen Niveau von Aerotelegraph und enthält zudem mehrere falsche Darstellungen.
Richtigstellen möchte ich nur die folgenden:

Der Kapitän hat seine Kinder nicht mit dem Flugzeug „spielen“ lassen.
Das ist eine Erfindung. Genau genommen hat er seinen Kinder nicht einmal das Steuer überlassen, sondern sie es nur anfassen und nachführen lassen. Die Steuergewalt hatte nach wie vor der Autopilot.
Das Problem entstand erst, als sein Sohn das vom Autopilot langsam nach links gedrehte Steuerhorn fest in seiner Position hielt, wodurch das Querruder-Servo des Autopiloten mechanisch ausgekuppelt wurde (Überdrücken des Autopiloten). Wahrscheinlich hatte er nicht verstanden, daß sich das Steuer aufgrund der von seinem Vater dem Autopiloten vorgegebenen Änderung des Steuerkurses „gewollt“ bewegte - und nicht etwa weil er etwas falsch gemacht hatte.


Das im Artikel erwähnte Warnlicht für die Anzeige des abgetrennten Autopilot-Servos für die Querruder existiert überhaupt nicht.
Dieser Umstand (und nicht die Tatsache, daß die Piloten früher sowjetische Flugzeugtypen geflogen sind) dürfte erklären, warum die Piloten dieses Warnlicht „übersehen“ haben. Wie kann man ein nicht existierendes Warnlicht zum Gegenstand seines Berichtes machen?
Hätte ein solches Warnlicht existiert, wäre der Unfall möglicherweise gar nicht passiert.


Das Flugzeug ist zu keiner Zeit „fast senkrecht“ gestiegen.
Wie kommt der Autor nur zu einer solchen abwegigen Aussage?
Selbst wenn das der Fall gewesen wäre, so wäre damit keine Belastungsgrenze überschritten worden. Belastungsgrenzen gibt es nur für das Lastvielfache (g-load) und den Staudruck (aka Gerätegeschwindigkeit).
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Thomas

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Re: A 310 Flug 593 Absturz in Sibirien

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » So 28. Aug 2022, 17:59

Nicht nur der Artikel von Aerotelegraph stellt den Unfallhergang falsch dar. Beim zugehörigen Artikel der englischen Wikipedia, der ähnlich freizügig mit den von der Untersuchungskommission ermittelten Fakten umgeht, ist mir noch etwas besonderes aufgefallen.

Es geht dabei (unter anderem) wieder um das gar nicht vorhandene, aber von jemandem erfundene Warnlicht, daß die Piloten übersehen haben sollen (sehr wahrscheinlich wegen seiner Nichtvorhandenheit). Der Wikipedia-Artikel gibt als Quelle für das übersehene Warnlicht einen Artikel auf der Website ultimate-facts.com an. In dem Artikel findet sich tatsächlich die Aussage, daß die Piloten dieses wichtige Warnlicht, was die Deaktivierung des Autopilot-Servos für die Rollsteuerung angezeigt haben soll, übersehen hätten. Als Quelle hierfür gibt ultimate-facts.com - und jetzt festhalten - genau diesen eingangs genannten Wikipedia-Artikel an.

Das könnte man als zirkuläres Zitieren* bezeichnen. Warum ist das den Autoren nicht aufgefallen?
Da haben die Wikipedianer wohl selbst ein Warnlicht übersehen, das Warnlicht für schlechte Quellen-Arbeit.

Der Wikipedia-Artikel verlinkt sogar zur englischen Übersetzung des Untersuchungsberichtes, doch ohne daraus die wesentlichen Fakten in den Artikel zu übernehmen. Stattdessen bekommt man das Geschreibsel aus der damals hyperventilierenden Tagespresse serviert.
Der Autor vom Aerotelegraphen hat wohl auch nicht in den offiziellen Bericht geschaut.
Und so kommt es, daß dieser Unfug immer wieder neu in die Welt gesetzt wird. Was damals wirklich passiert ist, das erfährt der Leser nie. Es sei denn, er tut die Arbeit der Journalisten und studiert selbst den Untersuchungsbericht.

Im Bericht steht übrigens, daß im Moment der unbeabsichtigten Abschaltung des Autopilot-Rollkanals an beiden Steuerhörnern Krafteingaben erfolgt sind, also auch vom Copiloten. Auch aus diesem Grund dürften viele der spektakulären Schlagzeilen im Konflikt mit der Wahrheit stehen.
Es kann keine Rede davon sein, daß Kapitän K. seinem Sohn "Flugunterricht" erteilt oder ihm die Steuerung des Flugzeuges überlassen hätte, oder gar daß sein Sohn den Absturz allein verursacht hätte.

Dennoch bleibt es ein Fakt, daß Kapitän K. es seinem Sohn leichtsinnig ermöglichte, störend in die Steuerung einzugreifen. Der Copilot war im entscheidenden Moment (als sich die Autopilot-Rollsteuerung abkoppelte) an der Steuerung beteiligt. Aus welchem Grund er ebenfalls Steuereingaben machte, konnte jedoch nicht ermittelt werden.


*) Die sich gegenseitig bestätigenden Quellen sind ein häufigeres Problem bei Wikipedia.
Meist läuft es so ab. Ein selbsternannter Experte schreibt eine falsche Information in einen Wikipedia-Artikel. Journalisten "recherchieren" für einen Artikel bei Wikipedia und übernehmen die falsche Information - natürlich ohne Quellenangabe. Ein Wikipedia-Autor erkennt, daß ein Detail nicht mit einer Quelle belegt ist und findet prompt den Presse-Artikel, der das fragliche Detail bestätigt, und fügt die Quellenangabe hinzu (die gar keine ist). Von nun an haben selbst Fachleute kaum noch eine Chance, diese Falschinformation aus dem Wikipedia-Artikel zu entfernen, denn es gibt ja eine "vertrauenswürdige" Quelle, womit jegliche Artikelkritik zum Schweigen gebracht wird.
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Re: A 310 Flug 593 Absturz in Sibirien

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » So 28. Aug 2022, 18:54

Das ist ein leidiges Problem von Wikipedia. Und auch das gegenseitige Abschreiben von Fehlern, leider auch ein oft vorkommender Fakt. Deshalb wird Wikipedia nie eine ernsthafte Quelle.
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