Erinnerungen aus der Zeit 1966 - 1969
1966 begann meine Schulzeit an der EOS Ernst Abbe in Eisenach und kurz nach den Sommerferien wurden auch verschiedene Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten angeboten. Die Sektion Flugsport / Segelflug der GST Automobilwerk Eisenach war auch dabei und stellte ihre Arbeit vor. Durch meinen Vater und seine Erzählungen „infiziert“ meldete ich mich sofort an und es begann eine sehr schöne Zeit zwischen Eisenach (Theorie) und Gotha (Praxis). Unsere theoretische Ausbildung fand in den GST-Baracken des AWE statt und während der „flugfreien“ Saison fuhren wir an manchen Wochenenden nach Gotha, um am Flugplatz unsere Baustunden zu leisten.
In Eisenach selbst gab es nie Segelflug, jedoch am nahe gelegenen Harsberg zwischen Mihla und Lauterbach. Allerdings gab es dort nach dem Ende des zweiten Weltkrieges auch kein Flugbetrieb mehr, sieht man mal von einem nachgewiesenen Flug ab. Durch die nahe innerdeutsche Grenze war auch langfristig an Segelfliegen nicht zu Denken. Trotzdem gab es in Eisenach eine Flugsportgruppe. Die Sektion Flugsport/Segelflug GST des PKW-Herstellers VEB AWE Eisenach bot die Möglichkeit, am Flugplatz Gotha dem Flugsport zu fröhnen.
Bedingt durch die grenznahe Lage gab es für uns nur die Möglichkeit das Fliegen in Gotha am Flugplatz Kindlebener Landstraße zu erlernen. Es war eine Zweckgemeinschaft mit den Gothaer Kameraden und es wurde wochenweise gewechselt. So ganz glücklich waren die Gothaer Flieger bestimmt nicht immer und wir auch nicht, da es oft vorkam, dass an unserem Einsatzwochenende ausgerechnet kein Flugwetter war und umgekehrt und so erst in 2 Wochen wieder die Möglichkeit für die Schulung bestand.
Unsere Fluglehrer – allen voran Horst Maßwig sowie Siegfried Rommel und ab und zu Helmut Bechstedt weihten uns in die Geheimnisse Lilienthals ein. Ich habe die vielen Baustunden im zugigen und kalten Hangar nicht vergessen und konnte mir nützliche handwerkliche Fertigkeiten aneignen. (Vielleicht gibt es irgendwo eine Meisterschaft im Umgang mit Schmirgelpapier?) Neulinge durften auch schon mal als Einstand eine „Querachse“ bearbeiten und Kerben in ganz exaktem Abstand einfeilen – um nach durchgeführter Qualitätsprüfung dies bearbeitete Stück Eisen zu entsorgen. (Fliegerhumor)
Die vorhandenen Gebäude waren recht primitiv aber mit viel Liebe und Muskelkraft zum großen Teil in Eigenleistung erstellt worden. Der vorhandene Hangar war mit „Geflügel“ zugeparkt und allerlei technisches Zubehör war ja auch noch untergebracht.
Am schönsten waren für uns aber die Wochenenden, an denen es endlich in die Luft ging. Uns standen 2 Doppelsitzer vom Typ „Lehrmeister“ zur Verfügung (der kleine und der große FES). Wer dann nach langer Warte- und Übungszeit endlich zum 1. Alleinflug antreten durfte, tat dies in einem von mehreren Babys IIb. Ich kann mich auch erinnern, dass am Platz eine Meise und kurzzeitig auch eine Libelle stationiert waren. Ich glaube die Ausstattung der einzelnen Plätze hing mit der erbrachten fliegerischen Leistung zusammen und so wurden die Flugzeuge schon mal weitergereicht. Ein Höhepunkt im Jahr war immer die so genannte Gefahreneinweisung. Dafür kam vom Flugplatz Erfurt eine Motormaschine (Zlin Z-226T „Trener“), um unsere Schulungsmaschinchen auf die erforderliche Höhe zu schleppen. Dann ging es auch schon los mit allerlei „Kunststückchen“. Es kam aber auch vor, dass wir nach manch einer Landung das Innere eines Seglers wieder von diversen Essensrückständen reinigen durften! Für den normalen Schulungsbetrieb gab es eine Herkules Winde mit 2 Seiltrommeln, die uns brav auf Platzrundenhöhe zerrte. Die Seile wurden mit einem alten amerikanischen und umgerüsteten Jeep zu den Flugzeugen geschleppt und nach der Landung setzte sich die Rückholmannschaft mit einem „Kullerchen“ in Bewegung um das Baby wieder an den Startplatz zu ziehen. Die Möglichkeiten - die vorgeschriebene Platzrunde bei Thermik mal auszudehnen waren etwas begrenzt, da in der Nähe sowjetische Streitkräfte ihren Anspruch in der Lufthoheit durchsetzten. Aber wenn das Wetter viel versprechend war und der Flugbetrieb entsprechend in Schönhagen angemeldet war, wurden auch von Gotha aus Streckenflüge unternommen. Von den Gothaer Kameraden ist mir da am deutlichsten der Fluglehrer und Leistungsflieger Heinz Fischer in Erinnerung.
Gab das Wetter oder der Wind keine Bedingungen für einen normalen Flugbetrieb her – haben wir die Zeit mit anderen mehr oder weniger sinnvollen Beschäftigungen verbracht. Da gehörte das Spleißen unserer Schleppseile genauso dazu wie das Unkrautbeseitigen (vor allen bei den zahlreichen Bombentrichtern an und um den Platz). Da wir irgendwann mal ein Rhönrad aufgestöbert hatten, haben wir uns alle auch im Rhönradfahren versucht. Gaudi gab es also genug.
Da eine 14 tägige Wochenendschulung nicht ganz so effektiv war – bedenkt man die oft ungünstigen Wetterbedingungen für den Segelflugschulbetrieb – wurde in den Sommerferien ein Trainingslager durchgeführt. Es wurde in Armeezelten geschlafen (ich genoss als einziges weibliches Wesen den Luxus eines Einzelzeltes) und vom benachbarten Grundstück, auf dem sich ein kleines Freibad befand, wurde eine Wasserrohrleitung verlegt und das Endstück mit ein paar Löchern - auf Böcke gelegt - ergab für uns eine Superwaschstelle. Zum Mittagessen fuhren wir meist mit dem Fahrrad zur Kantine des VEB Waggonbau Gotha und das Frühstück und Abendessen bereiteten wir mit von der Armee gelieferten Naturalien selbst zu (Romantik pur!!). Mit einem am und um den Flugplatz arbeitenden Schäfer mit seiner Herde wurde in einem Jahr um ein Schaf verhandelt und das arme Tier landete über unserem Lagerfeuer (geschmeckt hat es mir nicht). Die angrenzenden Kleingärten wurden ab und zu mal von einem abgedrifteten Schleppseil erfasst und die ansässigen Kleingärtner waren dann immer sehr sauer auf die Fliegersleut. Bei dem Wort „Fliegersleut“ fällt mir ein, dass in unserer Gruppe auch Gitarrespieler (Knut und Klaus) waren und wir abends oft voller Innbrunst stundenlang gesungen haben!
Mit den heutigen Ausbildungsmöglichkeiten war die damalige Fliegerei für Schüler nicht zu vergleichen. So brauchten wir in der Regel 2 Jahre bis wir die „C“ geschafft haben. Da für die holden Knaben oft auch im weiteren Leben die Fliegerei eine Rolle spielen sollte, gingen einige von ihnen nach Königsbrück, um ihre gesundheitliche Tauglichkeit für die Militärfliegerei testen zu lassen. Diese Hürde war jedoch recht hoch (bestimmt auch aus anderen Gründen) und ich kann mich nur an eine erfolgreiche Bewerbung erinnern.
Es gab während meiner GST-Zeit auch ein einschneidendes Vorkommnis. Es handelte sich um eine versuchte „Republikflucht“ und die Umstände waren recht spektakulär. Ein Mitglied unserer Gruppe bastelte und tüftelte und baute in seiner Freizeit und natürlich ohne unser Wissen eine Automatik für die Startwinde und mit der Überlegung 2 Seile aneinandergespleisst ergeben auch doppelte Höhe, wurde der Plan dann umgesetzt. Zu zweit wurde im vollgestellten Hangar ein Doppelsitzer abgerüstet, auf einen Hänger geladen und quer durch Gotha kutschiert. Die Winde wurde auch „entführt“ und fragenden Gothaer Kameraden wurde erklärt, dass es sich um eine Überführung nach Lommatzsch handele. Bei der Fahrt ging aber irgendwas schief und bei der Winde ist das Hydrauliköl ausgelaufen. Die beiden haben es aber bis hinter Eisenach geschafft und sogar Helfer gefunden, die ihnen für den „Heimflug“ nach Gotha Hilfestellung geben wollten. Das ganze Vorhaben scheiterte aber an der defekten Seilwinde und so flog (im wahrsten Sinne des Wortes) dann alles auf. Es gab Untersuchungen und Befragungen und Belehrungen und …letztlich auch Verurteilungen.
Für uns hieß das dann natürlich noch mehr Einschränkungen für unser Hobby.
So, dies war mal ein Gedächtnisbericht aus einer Zeit, die nun schon über 40 Jahre zurückliegt und wenn ich hier einiges vergessen, verdrängt oder verdreht haben sollte, bitte ich um Nachsicht. Vielleicht finden sich andere Fliegereihobbyisten, die auch einen Beitrag zur Geschichte des Segelfluges in Gotha leisten können und wollen.