Truppenaustausch mit der Aeroflot in die DDR
Verfasst: Fr 28. Mai 2021, 00:12
Die Diskussion zur Tu-124 aufgreifend hier mal etwas Basiswissen zum Thema, vergleiche viewtopic.php?f=221&t=1181&hilit=Truppenaustausch&start=10#top
1999 erschien der 3. Band von Sowjetische Fliegerkräfte Deutschland 1945-1994 von der Edition Freundt, darin ein Gastbeitrag den ich vollständig zitiere, Zitat Anfang:
Truppenaustausch (Seite 48)
Frank Tornow
Da die Majorität der in der DDR dislozierten sowjetischen Truppen vornehmlich aus Soldaten mit allgemeiner Wehrpflicht bestand, ergab sich von Anbeginn die Notwendigkeit, möglichst viele Soldaten aller Waffengattungen in einem kurzen Zeitraum periodisch austauschen zu können. Mit hohen Zeitaufwand und gelegentlich unter widrigen Umständen, erfolgte diese ständig wiederkehrende Maßnahme zunächst über den Schienentransport.
Erst mit der deutlichen Expansion des Luftverkehrs innerhalb der Sowjetunion seit den 60er Jahren, ergab sich die Möglichkeit, auch den notwendigen Truppenaustausch (nicht nur in der DDR) umfassend per Lufttransport zu organisieren. Die Voraussetzung dafür wurde maßgeblich durch die Verfügbarkeit des Turbopropflugzeuges Il-18 geschaffen. Allerdings standen die somit militärisch genutzten Luftfahrzeuge nicht direkt im Truppendienst, trugen also auch keine militärischen Hoheitszeichen.
Mit Beginn der 70er Jahre war der sowjetische Truppenaustausch per "Luftbrücke" für den Raum der DDR etabliert. Das entsprechende Transportgerät stellte die Aeroflot, die bis zu Beginn der 90er Jahre die Funktion einer militärischen (Lufttransport)Reserve erfüllte. Das eingesetzte Fluggerät mußte zum jeweiligen Zeitpunkt dem Flugplannetz innerhalb der Sowjetunion "entzogen" werden. So flogen Besatzungen und Maschinen einiger Aeroflot-Direktorate (u.a. aus Gebieten in Armenien, Rußland, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan) regelmäßig Soldaten und Familienangehörige nach Deutschland, die sonst nur innerhalb der Sowjetunion zum Einsatz gelangten. Zweimal jährlich, jeweils im Frühjahr und Herbst, landeten über einen Zeitraum von 3-4 Wochen und praktisch "rund-um-die uhr, die Maschinen der Aeroflot auf den Stützpunkten in Brand, Falkenberg, Finow, Großenhain, Jüterbog, Parchim, Sperenberg, Templin und Zerbst. Auf diesen Flugplätzen stand eine mindestens 2,5 km lange Start- und Landebahn zur Verfügung. Zunächst wurde mit Il-18, Tu-104 und Tu-114 geflogen. Die Tu-114 (Turbopropantrieb) konnte zum Einsatz gelangen, weil für die internationalen und nationalen Femflüge der Aeroflot bereits vermehrt die Il-62 (Strahlantrieb) zur Verfügung stand. Noch im November 1975 flogen Tu-114 (SSSR-76474, -76475, -76476, -76482, -76484, -76487, -76488 und -76490) den Flugplatz Templin (Groß Dölln) an. Ab Mitte der 70er Jahre konnten diese älteren Flugzeugtypen der Aeroflot durch Il-62, Tu-134 und Tu-154 ersetzt werden. Dies führte abermals zu kürzeren Reisezeiten und einer Kapazitätsvergrößerung. Während der zweiten Hälfte der 70er Jahre erfolgten rund 1.000 Flüge pro Truppenaustausch.
Ab 1981 wurde eine wesentliche Veränderung eingeleitet. Die Transportleistung der sowjetischen Luftstreitkräfte stieg mit Einführung der Il-76M/ 76MD signifikant, die jetzt zunehmend für das Unternehmen Truppenaustausch genutzt werden konnten. Die bis dahin und in größerer Stückzahl eingesetzten An-12 waren für derartige Unternehmen wenig praktikabel.
Um eine reibungslose Abfertigung für die ein- und ausfliegenden Maschinen auf den Militärflugplätzen gewährleisten zu können, wurden jeweils vor dem Truppenaustausch zusätzliche Fluggasttreppen der Aeroflot eingeflogen.
Eine besondere Leistung vollbrachten die zivilen Flugsicherungsstellen am Boden. Sie hatten die schwierige Aufgabe, alle zusätzlichen Flüge im Raum der DDR zu leiten. Die Kommunikation per Funk mußte nun vermehrt auch in russischer Sprache erfolgen, da viele Flugzeugführer der verschiedenen Aeroflot-Direktorate nicht im englischen Sprachgebrauch geschult waren. Gleichzeitig wurden die internationalen Flüge in englisch und die Flüge von Inteflug und NVA-Maschinen z.T. in deutscher Sprache bedient. Diese Tatsache ist u.a. auch für die Sicherheit der Flüge von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Es gab Zeiten eines wechselnden, ununterbrochenen Redeflusses in den genannten drei Sprachen.
Die Aeroflot-Truppentransporter wurden unter Aeroflot-Flugnummern im Bereich "6000-6999, die reinen Militärtransporter (Il-76) der sowjetischen Luftstreitkräfte unter Aeroflot-Flugnummern im Bereich “8400-8499” geführt. Um die erweiterte Kommunikation für derartige Militärflüge zu handhaben, arbeiteten die Flugzeugführer und Bodenstellen südlich von Berlin auf der sowjetischen Militärfrequenz 124.00 MHz, sowie im nördlichen Luftraum der DDR auf 128.50 MHz.
Zitat Ende
Im folgenden Jahr erschien der Ergänzungsband (Band 4), dort weitere Ausführungen auf Seite 17, Zitat Anfang:
Im Bereich der Flugsicherung der DDR wurden Flüge im Rahmen des militärischen Truppenaustausches als “Aeroflot”-Charterverkehr bezeichnet.* Zusätzlich zu den im Text bereits genannten Standorten wurden auch die Flugplätze Allstedt (z.B. 1982), Cochstedt (z.B 1975), Lärz (z.B. 1979), Mahlwinkel (z.B. 1975) und Neu-Welzow (z.B. 1978) angeflogen. Im April/Mai 1987 wurden beispielsweise 172 “Aeroflot”-Flüge mit Tu-134, 572 Flüge mit Tu-154 sowie 38 Flüge mit Il-86 durchgeführt. Hierbei gab es die Ausweichlandung einer Il-86 auf dem NVA-Stützpunkt in Laage. Da die Austauschperiode im Herbst (November) für gewöhnlich durch witterungsbedingte schlechte Sichtverhältnisse auf einigen Plätzen tangiert wurde, waren Ausweichlandungen nicht unüblich. Auch zu Beginn der 70er Jahre landeten zwei Tu-114 in Schönefeld. Die Maschinen hatten zuvor den Anflug auf den Zielort Parchim zweimal abbrechen müssen.
Die letzte “Charterflugperiode” fand im November/Dezember 1992 statt. Hierzu wurden die Flugplätze Finow, Großenhain, Mahlwinkel und Templin genutzt. Wie auch zuvor, diente Sperenberg als Reserveflugplatz für evt. Ausweichlandungen.
Militärtransportflüge (Il-76) der sowjetischen Luftstreitkräfte wurden seinerzeit unter “Aeroflot”-Flugnummern im Bereich 8000-8499 geführt.
Zitat Ende
1999 erschien der 3. Band von Sowjetische Fliegerkräfte Deutschland 1945-1994 von der Edition Freundt, darin ein Gastbeitrag den ich vollständig zitiere, Zitat Anfang:
Truppenaustausch (Seite 48)
Frank Tornow
Da die Majorität der in der DDR dislozierten sowjetischen Truppen vornehmlich aus Soldaten mit allgemeiner Wehrpflicht bestand, ergab sich von Anbeginn die Notwendigkeit, möglichst viele Soldaten aller Waffengattungen in einem kurzen Zeitraum periodisch austauschen zu können. Mit hohen Zeitaufwand und gelegentlich unter widrigen Umständen, erfolgte diese ständig wiederkehrende Maßnahme zunächst über den Schienentransport.
Erst mit der deutlichen Expansion des Luftverkehrs innerhalb der Sowjetunion seit den 60er Jahren, ergab sich die Möglichkeit, auch den notwendigen Truppenaustausch (nicht nur in der DDR) umfassend per Lufttransport zu organisieren. Die Voraussetzung dafür wurde maßgeblich durch die Verfügbarkeit des Turbopropflugzeuges Il-18 geschaffen. Allerdings standen die somit militärisch genutzten Luftfahrzeuge nicht direkt im Truppendienst, trugen also auch keine militärischen Hoheitszeichen.
Mit Beginn der 70er Jahre war der sowjetische Truppenaustausch per "Luftbrücke" für den Raum der DDR etabliert. Das entsprechende Transportgerät stellte die Aeroflot, die bis zu Beginn der 90er Jahre die Funktion einer militärischen (Lufttransport)Reserve erfüllte. Das eingesetzte Fluggerät mußte zum jeweiligen Zeitpunkt dem Flugplannetz innerhalb der Sowjetunion "entzogen" werden. So flogen Besatzungen und Maschinen einiger Aeroflot-Direktorate (u.a. aus Gebieten in Armenien, Rußland, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan) regelmäßig Soldaten und Familienangehörige nach Deutschland, die sonst nur innerhalb der Sowjetunion zum Einsatz gelangten. Zweimal jährlich, jeweils im Frühjahr und Herbst, landeten über einen Zeitraum von 3-4 Wochen und praktisch "rund-um-die uhr, die Maschinen der Aeroflot auf den Stützpunkten in Brand, Falkenberg, Finow, Großenhain, Jüterbog, Parchim, Sperenberg, Templin und Zerbst. Auf diesen Flugplätzen stand eine mindestens 2,5 km lange Start- und Landebahn zur Verfügung. Zunächst wurde mit Il-18, Tu-104 und Tu-114 geflogen. Die Tu-114 (Turbopropantrieb) konnte zum Einsatz gelangen, weil für die internationalen und nationalen Femflüge der Aeroflot bereits vermehrt die Il-62 (Strahlantrieb) zur Verfügung stand. Noch im November 1975 flogen Tu-114 (SSSR-76474, -76475, -76476, -76482, -76484, -76487, -76488 und -76490) den Flugplatz Templin (Groß Dölln) an. Ab Mitte der 70er Jahre konnten diese älteren Flugzeugtypen der Aeroflot durch Il-62, Tu-134 und Tu-154 ersetzt werden. Dies führte abermals zu kürzeren Reisezeiten und einer Kapazitätsvergrößerung. Während der zweiten Hälfte der 70er Jahre erfolgten rund 1.000 Flüge pro Truppenaustausch.
Ab 1981 wurde eine wesentliche Veränderung eingeleitet. Die Transportleistung der sowjetischen Luftstreitkräfte stieg mit Einführung der Il-76M/ 76MD signifikant, die jetzt zunehmend für das Unternehmen Truppenaustausch genutzt werden konnten. Die bis dahin und in größerer Stückzahl eingesetzten An-12 waren für derartige Unternehmen wenig praktikabel.
Um eine reibungslose Abfertigung für die ein- und ausfliegenden Maschinen auf den Militärflugplätzen gewährleisten zu können, wurden jeweils vor dem Truppenaustausch zusätzliche Fluggasttreppen der Aeroflot eingeflogen.
Eine besondere Leistung vollbrachten die zivilen Flugsicherungsstellen am Boden. Sie hatten die schwierige Aufgabe, alle zusätzlichen Flüge im Raum der DDR zu leiten. Die Kommunikation per Funk mußte nun vermehrt auch in russischer Sprache erfolgen, da viele Flugzeugführer der verschiedenen Aeroflot-Direktorate nicht im englischen Sprachgebrauch geschult waren. Gleichzeitig wurden die internationalen Flüge in englisch und die Flüge von Inteflug und NVA-Maschinen z.T. in deutscher Sprache bedient. Diese Tatsache ist u.a. auch für die Sicherheit der Flüge von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Es gab Zeiten eines wechselnden, ununterbrochenen Redeflusses in den genannten drei Sprachen.
Die Aeroflot-Truppentransporter wurden unter Aeroflot-Flugnummern im Bereich "6000-6999, die reinen Militärtransporter (Il-76) der sowjetischen Luftstreitkräfte unter Aeroflot-Flugnummern im Bereich “8400-8499” geführt. Um die erweiterte Kommunikation für derartige Militärflüge zu handhaben, arbeiteten die Flugzeugführer und Bodenstellen südlich von Berlin auf der sowjetischen Militärfrequenz 124.00 MHz, sowie im nördlichen Luftraum der DDR auf 128.50 MHz.
Zitat Ende
Im folgenden Jahr erschien der Ergänzungsband (Band 4), dort weitere Ausführungen auf Seite 17, Zitat Anfang:
Im Bereich der Flugsicherung der DDR wurden Flüge im Rahmen des militärischen Truppenaustausches als “Aeroflot”-Charterverkehr bezeichnet.* Zusätzlich zu den im Text bereits genannten Standorten wurden auch die Flugplätze Allstedt (z.B. 1982), Cochstedt (z.B 1975), Lärz (z.B. 1979), Mahlwinkel (z.B. 1975) und Neu-Welzow (z.B. 1978) angeflogen. Im April/Mai 1987 wurden beispielsweise 172 “Aeroflot”-Flüge mit Tu-134, 572 Flüge mit Tu-154 sowie 38 Flüge mit Il-86 durchgeführt. Hierbei gab es die Ausweichlandung einer Il-86 auf dem NVA-Stützpunkt in Laage. Da die Austauschperiode im Herbst (November) für gewöhnlich durch witterungsbedingte schlechte Sichtverhältnisse auf einigen Plätzen tangiert wurde, waren Ausweichlandungen nicht unüblich. Auch zu Beginn der 70er Jahre landeten zwei Tu-114 in Schönefeld. Die Maschinen hatten zuvor den Anflug auf den Zielort Parchim zweimal abbrechen müssen.
Die letzte “Charterflugperiode” fand im November/Dezember 1992 statt. Hierzu wurden die Flugplätze Finow, Großenhain, Mahlwinkel und Templin genutzt. Wie auch zuvor, diente Sperenberg als Reserveflugplatz für evt. Ausweichlandungen.
Militärtransportflüge (Il-76) der sowjetischen Luftstreitkräfte wurden seinerzeit unter “Aeroflot”-Flugnummern im Bereich 8000-8499 geführt.
Zitat Ende