Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Fr 13. Mär 2020, 23:10
Bei dieser Geschichte stehen mir die Haare zu Berge, nicht nur wegen des Gewaltpotentials der Entführer, sondern auch wegen des fahrlässigen Verhaltens der Cockpit-Besatzung. War denen ein Orden wichtiger als das Leben ihrer Kollegin und das der Passagiere?
Sie haben zwei bewaffnete und zu allem entschlossene Entführer maximal provoziert. Daß die Geschichte für alle Unbeteiligten an Bord am Ende so glimpflich verlaufen ist, daß "verdanken" sie einzig und allein - den beiden Entführern.
Zwei Pistolen, die Drohung mit der Erschießung der Stewardess, ... Was gibt es da noch zu überlegen?
Obwohl sie nichts entgegenzusetzen haben, bieten die Piloten den Entführern dennoch die Stirn. Die Folge sind sieben Schüsse, um das Schloß der verriegelten Tür zum Gepäckraum (hinter dem Cockpit) aufzuschießen, was auch gelang. Spätestens danach dürfte klar gewesen sein, daß die Lage explosiv ist. Es folgen dann noch insgesamt zehn weitere Schüsse auf das Cockpit, einer davon durch den Türspion. Dabei werden zwei Cockpitscheiben getroffen und der Kapitän am Ohr verletzt. Allein an diesem Detail wird sichtbar, wie leichtsinnig die Piloten agiert haben. Haben die sich hinter der Pappwand wirklich so sicher gefühlt, daß sie all das riskieren konnten?
Sie hatten Glück, daß die Entführer den 18. und den 19. Schuß gegen sich selbst gerichtet haben. Sie hatten noch so viel Munition, daß sie stattdessen sieben weitere Schüsse auf andere Ziele an Bord hätten abgeben können. Mindestens. (Ich weiß nicht, wieviel Magazine sie insgesamt dabei hatten.)
Die beiden Ehepartner wohnten und arbeiteten an voneinander weit entfernten Orten und es gelang ihnen nicht, einen gemeinsamen Arbeitsort mit gemeinsamer Wohnung zu bekommen. War diese sehr schwierige Lebenssituation der beiden wirklich ein ausreichendes Motiv für diese ungewöhnlich gewaltsame Tat?
Da hätten ja tausende Menschen in der DDR kriminelle Pläne schmieden müssen.
Die Motivlage ist kaum nachzuvollziehen. So haben beide am Tag vor der Entführung ihren Eltern Abschiedsbriefe geschrieben und für den Fall des Scheiterns der Flucht den Selbstmord angekündigt.
Sie hatten am Tag der Entführung vier Möglichkeiten:
(1) Leben in der BRD (bei gelungener Flucht) - die Anfangsjahre aber eher im Gefängnis
(2) Gefängnisstrafe in der DDR (bei gescheiterter Flucht) - nach dem Waffeneinsatz an Bord deutlich längere Haftstrafe
(3) Selbstmord (bei gescheiterter Flucht)
(4) Weiterleben in der DDR wie bisher, mit der Hoffnung auf bessere Zeiten
Ist es normal, wenn man glaubt, man könne seine großen Probleme mit einer Flugzeugentführung - noch dazu mit einer bewaffneten - lösen?
Ist es psychisch gesund, wenn man glaubt, daß nach dem Scheitern des Fluchtplanes (Wegfall von (1) und (4)) ein Selbstmord die einzige "lebenswerte" Alternative sei?
Der allergrößte Fehler war die Mitnahme von Munition - und sie haben sie sogar eingesetzt. Mit dieser Demonstration ihrer kriminellen Energie haben sich die Wehages die frühzeitige Rückkehr in die Freiheit verbaut.
Bei Abwesenheit von Munition hätte man ein Gericht in Ost oder West wenigstens glaubhaft davon überzeugen können, daß nie eine Tötungs- oder auch nur Verletzungsabsicht bestanden hat.
Wer von den beiden hat den anderen dazu gebracht, bereits vor der Tat einen Selbstmord als Handlungsalternative zu akzeptieren? Kollektive Selbstmorde haben viel mit Manipulation zu tun. Eckhard Wehages Abschiedsbrief war drei Seiten lang, der seiner Frau Christel nur eine Seite lang. Er hatte wohl viel zu erklären, sie deutlich weniger.
Spätestens beim Schreiben dieses Briefes hätte ich die Aktion abgeblasen. Da muß man doch wieder zu Verstand kommen.
Übrigens finde ich es sehr merkwürdig, daß jemand wie Herr Wehage, der seit seinem 14. Lebensjahr bereits zwei "Republiksflucht"-Versuche begangen hatte, auf einem Boot der Volksmarine Obermaat, d.h. Berufsunteroffizier in einem vergleichbaren Rang wie Unterfeldwebel werden konnte - dazu noch mit Zugang zu Waffen und Munition.
(Ich kannte damals einen gescheiterten Flüchtling. Ihm waren nach dem Fluchtversuch und Haft alle beruflichen Wege verbaut und er durfte nur als Gärtner arbeiten.)
Ich höre 'mal lieber auf. Diese Geschichte beschäftigt mich schon viel zu lange.
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Thomas
Hier könnte ein flotter Spruch stehen.