Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Moderator: Kilo Mike Sierra

Kilo Mike Sierra
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Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Di 10. Jun 2014, 18:27

Der gewöhnlich sehr gut informierte Sachbuch-Autor Dmitriy Komissarov schreibt in seiner Tu-134 Monographie auch über die Gründe, die zu dem vergleichsweise hohen Treibstoffverbrauch dieses Flugzeugtyps geführt haben. Er wird nicht wie allgemein angenommen durch eine besonders schlechte Treibstoff-Ökonomie des D-30-Triebwerkes verursacht, sondern durch zwei an sich rechtzeitig erkannte aerodynamische Auslegungsfehler, zu deren Korrektur man sich im OKB Tupolew einfach nicht entschließen konnte.

In dem verständlichen Streben nach Vereinfachung der Produktion und Senkung der Herstellungskosten durch möglichst große Bauteilegleichheit mit der Tu-124 wurde beschlossen, für die Tu-134 die Flügelstruktur (Torsion Box) der Tu-124 beizubehalten. Diese Entscheidung erforderte jedoch aerodynamische Kompromisse bei der Profilgebung des Flügels.
Während das gewählte Flügelprofil die Ablösung der Strömung bei hohen Anstellwinkeln verzögerte (gut) und für eine sehr hohe aerodynamische Güte bei geringen Geschwindigkeiten* sorgte (gut), so wies es wiederum im Reiseflug bei Machzahlen über 0,7 einen relativ hohen Widerstand auf (schlecht). Mehr Widerstand erfordert mehr Triebwerksschub zu seiner Kompensation, was wiederum einen höheren Treibstoffverbrauch bewirkt.

Windkanalversuche ergaben zudem, daß es notwendig war, den Einbauwinkel der Triebwerke bezüglich der Rumpflängsachse zu vergrößern. Auch dieses Problem wurde nicht gelöst, sondern in Kauf genommen, da man im OKB offenbar die Kosten für die Änderung der Zeichnungen und Vorrichtungen scheute.
Ein für den Reiseflug nicht optimierter Einbauwinkel der Triebwerke bewirkt ebenfalls eine Erhöhung des Luftwiderstands und somit des Treibstoffverbrauchs.

In der Summe ergaben diese vom OKB tolerierten Probleme einen Mehrverbrauch von 300 kg/h, was einer Erhöhung von ca. 15% entspricht.
Hochgerechnet auf eine Einsatzfrist von 30.000 Stunden ergibt das pro Flugzeug eine Kraftstoffverschwendung von 9.000 t.

*) Die Tu-134A weist bei kleinen Mach-Zahlen eine aerodynamische Güte von 18 auf, d.h. das Gleitverhältnis beträgt 1:18.
Für Flugzeuge mit stark gepfeilten Flügeln ist das ein exzellenter Wert.


Bild
Jet Airlines Tupolev Tu-134B-3 UP-T3409 by Vasily Kuznetsov, on Flickr
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Di 10. Jun 2014, 18:57

Während das gewählte Flügelprofil [...] für eine sehr hohe aerodynamische Güte bei geringen Geschwindigkeiten* sorgte ...


Auch INTERFLUG fing an Kraftstoff zu sparen -
und wir reduzierten unsere Reisegeschwindigkeit von M* 0.76 auf 0.72 !
Sollte die Flugsicherung doch sehen, wie sie uns lahme Enten in den Traffic sortierte.


* Zeichen M (Machzahl), physikalischer Kennwert für die Geschwindigkeit eines Körpers,
definiert als Verhältnis der Geschwindigkeit des bewegten Körpers zur Schallgeschwindigkeit ;
besonders gebräuchlich in der Luftfahrttechnik.
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » Di 10. Jun 2014, 19:59

Daß das Konstruktionsbüro Tupolew diese Anpassungen ablehnte, könnte durchaus logistisch und ökonomisch unlösbare Probleme zum Anlass gehabt haben.

Zum einen wollte man vermutlich nicht die ökonomischen Vorgaben überschreiten und zum anderen war man finanziell gar nicht in der Lage, neue Vorrichtungen zu bauen bzw. bauen zu lassen. Oder mögliche Zulieferer waren nicht in der Lage, kurzfristig zu liefern.

Hierzu müsste man Zugang zu sowjetischen Archiven haben, denke ich.

Unklug war es jedoch in jedem Fall.
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 11. Jun 2014, 14:02

Laut Komissarov hätten die erforderlichen Änderungen bei der Produktionsvorbereitung höchstens 20.000 Rubel gekostet. Gegenüber den Treibstoffmehrkosten wäre das eine kostenlose Aktion geworden. Nur den Treibstoff bezahlte ja ohnehin jemand anderes: das steuerzahlende Volk.
Das kommt davon, wenn man ein staatlich gesichertes Monopol hat. Aeroflot hatte zudem keine Einkaufsalternative.
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 11. Jun 2014, 16:34

...andere viel aufwändigere Änderungen wurden jedoch noch im Prototypenstadium realisiert.
So wurde die Spannweite des Höhenleitwerks nach dem Absturz des BAC-111 Prototypen deutlich vergrößert. Auch die Form der Triebwerksgondeln wurde verändert, bis zum Beginn der Serienfertigung wurde diese Änderung jedoch wieder zurückgenommen.

Spieleraum für Veränderungen war offenbar vorhanden.


Welche Maßnahmen (außer Verringerung der Reisegeschwindigkeit) wurden denn bei INTERFLUG ergriffen, um den Durst der Tu-134 in Grenzen zu halten?
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » Mi 11. Jun 2014, 17:09

Kilo Mike Sierra hat geschrieben:Laut Komissarov hätten die erforderlichen Änderungen bei der Produktionsvorbereitung höchstens 20.000 Rubel gekostet. Gegenüber den Treibstoffmehrkosten wäre das eine kostenlose Aktion geworden. Nur den Treibstoff bezahlte ja ohnehin jemand anderes: das steuerzahlende Volk.
Das kommt davon, wenn man ein staatlich gesichertes Monopol hat. Aeroflot hatte zudem keine Einkaufsalternative.

Glaube ich gerne, ich habe hier meine Erfahrungen aus der DDR-Automobilindustrie auf das OKB-Tupolew projeziert. Problematisch war es oft nicht nur, die Kosten zu rechtfertigen, sondern auch, Endscheidungsträger dafür gewinnen zu können.
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Mi 11. Jun 2014, 18:44

Kilo Mike Sierra hat geschrieben:...Welche Maßnahmen (außer Verringerung der Reisegeschwindigkeit) wurden denn bei INTERFLUG ergriffen,
um den Durst der Tu-134 in Grenzen zu halten?


Scharfe Berchnung für die Betankung um die Startmasse klein zu halten.
Es gab keine geschätzten "Erfahrungszuschläge" mehr.

Allerdings (so wie heute auch wieder ! ) brachte uns diese Art Betankung einmal in Bedrängnis
- es kam die "rote Lampe - Kraftstoffreserve ".
Beim Trabi würde man dann den Benzinhahn auf "Reserve" drehen oder rechts ranfahren und den Kanister aus dem Kofferraum holen.
Flieger kann nicht anhalten und nachtanken ...................
wir hatten noch 2,4 t - au weiha - wer wußte schon, wieviel davon wirklich noch zur Verfügung stand

Flieger Bernd lebt noch
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Do 12. Jun 2014, 11:34

Stand die Deaktivierung der Rumpfklappe damit auch irgendwie im Zusammenhang?
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Do 12. Jun 2014, 19:41

Kilo Mike Sierra hat geschrieben:Stand die Deaktivierung der Rumpfklappe damit auch irgendwie im Zusammenhang?


Das kann gut sein, man spart beim Anflug ein wenig Kraftstoff
und
der Lärm wird geringer.
Bei Landung mit Rupfklappe müssen die Triebwerke in hoher Drehzahl betrieben werden um den Widerstand zu überwinden
- beim Durchstarten geht das Einfahren der Rumpfklappe schneller als es möglich wäre, die Drehzahl der Triebwerke
auf Startleistung zu bringen ................. allens kloar, hä
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Re: Tu-134 - Treibstoffverbrauch

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Fr 13. Jun 2014, 14:07

Flieger Bernd hat geschrieben:
Während das gewählte Flügelprofil [...] für eine sehr hohe aerodynamische Güte bei geringen Geschwindigkeiten* sorgte ...


Auch INTERFLUG fing an Kraftstoff zu sparen -
und wir reduzierten unsere Reisegeschwindigkeit von M 0.76 auf 0.72 !
...

@Flieger Bernd
In einem sowjetischen Handbuch habe ich eine noch viel "schlimmere" Mach-Zahl gefunden.
Für Flugstrecken kleiner als 1.000 km empfiehlt man für die Tu-134 eine Reise-Mach-Zahl von 0,77, für weitere Flüge jedoch eine Mach-Zahl von nur 0,68.
Da muß man ja fast schon aufpassen, daß man nicht von einer Il-18 überholt wird.

In einer anderen Publikation (TIZL ?) war einmal zu lesen, die Tu-134 würde im Reiseflug 55 kg/min verbrauchen, d.h. 3.300 kg/h.
Ist das ein realistischer Wert?
Hier im Forum hast Du einmal an anderer Stelle geschrieben
Der Durchschnittsverbrauch (für Schätzungen) lag etwa bei 2,4 t/h (Tonnen pro Stunde).
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