Obwohl Jochen Werner, Holger Lorenz und andere gründlich recherchiert haben, wird in den Medien auch im Jahre 2018 immer noch die Version von dem angeblich für den 4. März 1959 (dem Tag des Absturzes) geplanten Schauflug zur Leipziger Messe neu aufgewärmt. Die damit verbundene Hast und Überstürzung soll dann zu dem Unglück beigetragen haben, wobei schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen erhoben werden.
Gestern habe ich es (noch einmal) recherchiert. Nikita Chruschtschow, dem Walter Ulbricht in der Tat die 152 im Überflug über das Leipziger Messegleände demonstrieren wollte, ist am 4. März 1959 erst gegen 11 Uhr in Berlin-Schönefeld gelandet. Danach ist er in einem Autokonvoi nach Leipzig gefahren, wobei es unterwegs mehrere Zwischenstops gab, u.a. in Duben. Vor 13 Uhr dürfte er keinesfalls in Leipzig angekommen sein. Dort sprach er am späten Nachmittag oder Abend auf einer großen Kundgebung vor 250.000 Teilnehmern.
(Während Chruschtschows großen Auftrittes oder gar während seiner langen Rede über die Stadt zu fliegen, um ihm die neueste Errungenschaft der DDR zu zeigen, wäre sicherlich diplomatisch sehr ungeschickt gewesen.)
Am 5. und 6. März war Chruschtschow ganztägig in Leipzig und machte an der Seite Ulbrichts einen ausführlichen Messerundgang. Im Verlaufe des 7. März ist er wieder nach Berlin gefahren.
Um Chruschtschow noch am 4. März die 152 vorzuführen, hätten folgende Randbedingungen erfüllt werden müssen. Betankung des Flugzeugs mit ausreichend Treibstoff für den Flug nach Leipzig, Warteflug bei Leipzig, Überflugmanöver, Rückflug nach Dresden, Reserve für Fehlanflüge.
Um ausreichend Sicht für die Landung in Dresden zu haben, hätte das Flugzeug deutlich vor Sonnenuntergang (17:50 Uhr) zurück sein müssen, also bis ca. 17 Uhr. Bei relativ später Rückkehr hätte es sogar gegen die tiefstehende Sonne anfliegen und landen müssen. Das ist natürlich machbar, doch bei der mit Strahlflugzeugen noch weitgehend unerfahrenen Besatzung und dem erst dritten Flug mit dem noch unerprobten Flugzeug wäre das möglichst zu vermeiden gewesen.
Wäre es am 4. März nicht zum Unfall gekommen, so wäre die DM-ZYA am Ende ihres spontan verkürzten(!) Testfluges gegen 14:10 Uhr gelandet und hätte ca. 14:15 Uhr die Triebwerke abgestellt. Dann hätte die Vorbereitung für den Flug nach Leipzig beginnen können. Für die notwendigen Arbeiten (Betanken, technischen Prüfungen usw.) wären nach der Erfahrung mit den beiden vorangegangen Flügen ca. zwei Stunden ins Land gegangen.
Der Start nach Leipzig hätte nach dieser Rechnung gegen 16:15 Uhr stattfinden können. Der Vorführflug hätte, einschließlich 15 Minuten Warteflug bei Leipzig, ca. 1 Stunde 20 Minuten Flugzeit benötigt.
Die Landung in Dresden wäre dann gegen 17:35 Uhr erfolgt - in die untergehende Sonne.
Das ist alles viel zu knapp genäht, um ernsthaft erwogen worden zu sein. Diesen Stress hätte man sich vollständig ersparen können, wenn man den Vorführflug als einzigen Flug des Tages für einen Tag plant, an dem Ulbricht und Chruschtschow sich ganztägig in Leipzig aufhielten. Das wäre entweder der 5. oder 6. März gewesen. Je nach Abreisezeitpunkt wäre auch noch der 7. März in Frage gekommen.
Gemäß den Erkenntnissen von Holger Lorenz war der Schauflug über Leipzig für den 6. oder 7. März 1959 geplant.
Aus all dem folgt, daß der geplante Vorführflug für Chruschtschow in Leipzig am 4. März 1959 nicht auf dem Flugprogramm stand und daher auch nichts mit dem Unfallhergang zu tun hatte.
Modellkoffer: 152 by
Steffen Kahl, on Flickr