Absturz AF 447

Kilo Mike Sierra
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 11. Jul 2012, 15:01

Zu 1) Da stimme ich Dir zu.
Diese Ansicht ist jedoch innerhalb der Industrie stark in der Minderheit. Seit dem die militärischen Drohnen einigermaßen funktioniern, träumen die Luftfahrt-Ökonomen, manche Universitätsprofessoren und auch Flugzeughersteller vom Ein-Mann-Cockpit und auch schon vom pilotlosen Flugzeug.
Zu diesem Thema kam gerade vorgestern nacht ein Feature bei Radio France Inter - und beim Zuhören ist mir schwarz vor Augen geworden. Die meinen das ernst.
Ob diese Leute wirklich wissen, was sie tun?

Zu 2) Diese Probleme gibt es natürlich.
Im konkreten Fall gab es jedoch keinerlei Streit oder irgendwelche Anzeichen eines Senioritätsgefälles im Cockpit.
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Thomas

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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 11. Jul 2012, 15:17

Flieger Bernd hat geschrieben:...
Ein "normales" Flugzeug solte ins Trudeln gehen.
Diese Kiste ist wohl durchgerauscht wie ein Klavier >kratz<

Das Trudeln, d.h. das seitliche Abkippen im überzogenen Flugzustand, haben die Piloten immerhin verhindern können, z.T. mit Vollausschlägen der Querruder.
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Di 31. Jul 2012, 18:05

Kilo Mike Sierra hat geschrieben:Warum hebt eigentlich niemand, auch nicht die Flugunfalluntersucher der BEA, darauf ab, daß die größte Zahl der modernen Verkehrsflugzeuge heutzutage ohne jedes Anzeigegerät für den Anstellwinkel unterwegs ist?
...

Die Untersuchungskommission hat sich doch dazu geäußert. Im Kapitel Sicherheitsempfehlungen, Abschnitt 4.2.2. des Abschlußberichtes steht geschrieben, daß "Nur eine direkte Anzeige des Anstellwinkels würde Flugbesatzungen in die Lage versetzen, den aerodynamischen Flugzustandes des Flugzeuges sofort zu erkennen und die erforderlichen Handlungen auszuführen."
Obwohl diese Aussage glasklar ist (man beachte das Wörtchen nur), resultiert daraus im nächsten Absatz nur noch die windelweiche Empfehlung an die Zulassungsbehörden EASA und FAA, sich über die Bedeutung einer Anstellwinkelanzeige Gedanken zu machen.

Ist das wirklich alles, Messieurs?
Habt Ihr bei Euren Recherchen wirklich nicht herausgefunden, daß bei der A330 und A340 die Anstellwinkel-Anzeigegeräte* aufgrund einer vernünftigen Überlegung anfangs vorhanden waren, aber in die Serienflugzeuge nicht eingebaut worden sind?
Sehr wahrscheinlich kam es zu dem "Verzicht" u.a. auch weil diese Geräte für die Zulassung nicht erforderlich waren.

...und jetzt sollen die größten und behäbigsten Luftfahrtbehörden einmal darüber nachdenken?!

*) Hersteller: MORS, Part Number: 4678-700-80-10, Einbauorte: Paneele 313VU und 314VU, Zone 210, Meßbereich:-5 bis +25 Grad
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » Mi 1. Aug 2012, 08:01

Ich denke, da wird es keine Einsicht geben, auch auf den Fakt, das die Geräte tatsächlich vorgesehen waren und aufgrund des fehlenden "Muss" nicht serienmässig verbaut wurden. Man wird dann argurmentieren, dass man diesen Fall noch nie hatte und aus diesem Fall lernen wird.
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 1. Aug 2012, 14:15

EA-Henning hat geschrieben:...
Man wird dann argurmentieren, dass man diesen Fall noch nie hatte...

Es sind schon so viele Flugzeuge überzogen worden oder wegen simpler blockierter Drucksensoren ins Verderben gestürzt.

Hier eine sehr unvollständige Aufzählung:

- 1974: Northwest Orient 727 bei Stony Point (NY) - Staurohre vereist, Strömungsabriß, Absturz
- 1987: ATI ATR-42 bei Conca di Crezzo (Alpen) - aufgrund von Vereisung Strömungsabriß im Reisflug, beim Ausleiten überzieht Besatzung das Flugzeug immer wieder, Absturz
- 1996: Birgenair 757 bei Puerto Plata - durch Insekt blockiertes Staurohr, widersprüchliche Geschwindigkeitsanzeigen, Überziehwarnung und gleichzeitig Overspeed Warnung, Verlust der Steuergewalt, Absturz
- 1996: Aero Peru 757 bei Pasamayo - durch Klebeband verschlossene Static Ports, nahezu identischer Ablauf wie bei Birgenair
- 2005: West Caribbean Airways MD-82 bei Machiques in Venezuela - maximale Reisflughöhe überstiegen, um Gewitter zu überfliegen, Autopilot reduziert Geschwindigkeit, um Höhe zu halten, Sinkflug eingeleitet, Strömungsbariß im Sinkflug, danach manuell bis Anschlag nach hinten getrimmt (wirklich alles falsch gemacht), Ausfall beider Triebwerke, nicht ausleitbarer Deep Stall (T-Leitwerk "abgeschattet"), Absturz
- 2006: Pulkovo Aviation Enterprise Tu-154M bei Donezk - maximale Reiseflughöhe überstiegen, um Gewitter zu überfliegen, Autopilot abgeschaltet, um manuell zu fliegen, Strömungsabriß in starker Turbulenz, weitere Steuerfehler, nicht ausleitbares Flachtrudeln (T-Leitwerk "abgeschattet"), Absturz
- 2006: Turkish Airlines 737 bei Amsterdam - defekter Funkhöhenmesser "verwirrt" Schubregler, Strömungsabriß zu spät erkannt, Absturz
- 2009: Colgan Air Dash-8 bei Buffalo - im Landeanflug Strömungsabriß aufgrund von Vereisung, Piloten überdrücken Stick Pusher, fahren Landeklappen zurück (wirklich alles falsch gemacht), Absturz


Es gibt also genug Hinweise darauf, daß die Instrumentierung der Flugzeuge und die Ausbildung der Piloten Mängel aufweist.
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Mi 1. Aug 2012, 17:49

Thomas, ich bin erschüttert - das ist ein Drama !
Strömungsabriß gehört zur Gefahreneinweisung, jedenfalls bei den "kleinen" Fliegern.
Allerdings .... die Sache muß richtig erkannt werden, das scheint ein Problem zu sein.
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mo 1. Okt 2012, 15:43

Ich habe in meinem vorhergehenden Beitrag noch zwei weitere Unfälle ergänzt.

- 2005: West Caribbean Airways MD-82 bei Machiques in Venezuela - maximale Reisflughöhe überstiegen, um Gewitter zu überfliegen, Autopilot reduziert Geschwindigkeit, um Höhe zu halten, Sinkflug eingeleitet, Strömungsbariß im Sinkflug, danach manuell bis Anschlag nach hinten getrimmt (wirklich alles falsch gemacht), Ausfall beider Triebwerke, nicht ausleitbarer Deep Stall (T-Leitwerk "abgeschattet"), Absturz

- 2006: Pulkovo Aviation Enterprise Tu-154M bei Donezk - maximale Reiseflughöhe überstiegen, um Gewitter zu überfliegen, Autopilot abgeschaltet, um manuell zu fliegen, Strömungsabriß in starker Turbulenz, weitere Steuerfehler, nicht ausleitbares Flachtrudeln (T-Leitwerk "abgeschattet"), Absturz


Verlust der Steuergewalt nach Strömungsabriß und falsche oder sogar unterbliebene Ausleitmanöver werden jetzt endlich von der Luftverkehrsbranche als ein dringend zu lösendes Problem erkannt. Verschiedene kooperierende internationale Arbeitsgruppen suchen nach einer Lösung des Problems. Dem Anschein nach sieht man die Lösung hauptsächlich in verbessertem Training, obgleich auch die besten Flugsimulatoren hier ihre Grenzen erreichen. Es gibt bislang keine mathematischen Modelle (echtzeit-fähig und validiert) für das Verhalten von Flugzeugen bei abgerissener Strömung, schon gar nicht spezifische für jeden Flugzeugtyp.

Ich denke, daß neue Trainingsinhalte allein nicht ausreichen.
Die Instrumentierung der Flugzeuge muß ebenfalls verbessert werden (fehlende Anzeigen für Anstellwinkel, Flugbahnwinkel und vertikales Lastvielfaches). Außerdem sollten Piloten bereits bei der Anfangsausbildung (Segelflug, Ultra-Light, Privatpilotenlizenz) nicht für ihre gesamte spätere Pilotenlaufbahn "verdorben" werden, indem man ihnen einredet, der Strömungsabriß hätte hauptsächlich etwas mit der Geschwindigkeit und der Länsgneigung zu tun oder daß man Steig- oder Sinkflug am künstlichen Horizont ablesen könne.
Auch Autopiloten sollten zukünftig so ausgelegt werden, daß sie nicht still und leise bis zum Anschlag trimmen dürfen, um auf Kosten der Geschwindigkeit, eine vorgegebene Höhe zu halten. Hat der Autopilot die Grenzen seines Handlungspielraumes erreicht, schaltet er sich dann ordnungsgemäß ab. Den überraschten Piloten wird dann jedoch ein völlig vertrimmtes Flugzeug übergeben, das zudem extreme Steuerkräfte erfordert. Ich finde, genau das darf nicht sein.
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Mo 1. Okt 2012, 18:00

Flachtrudeln ist ein Elend - wenn meine Erinnerung funktioniert gab es Zeiten, da wurden
(Sport)Flugzeuge, von denen diese Neigung bekannt war garnicht zugelassen !
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mo 1. Okt 2012, 20:36

@Bernd
Es kommt wohl auch darauf an, wie schnell oder leicht ein Flugzeug in den gefährlichen Zustand des Flachtrudelns gebracht werden kann. Flugzeuge mit höher gesetztem Höhenleitwerk (T-Leitwerk) sind dagegen leider nicht immun. Die Zulassungsbehörden verlangen daher besondere Schutzvorrichtungen, die über eine einfache Überziehwarnung hinausgehen. Daher verfügen DC-9/MD-80, Boeing 727 u.a. neben der Überziehwarnung (Stick Shaker) auch über einen sogenannten Stick Pusher. Wird die Warnschwelle für den drohenden Strömungsabriß um einen gewissen Betrag überschritten (weil der Pilot auf die Überziehwarnung nicht reagiert), dann drückt ein hydraulischer(?) Antrieb die Steuersäule kräftig nach vorn, um den Anstellwinkel des Flugzeuges schnellstens zu verringern.


Es dürfte wirklich nur sehr wenige Verkehrspiloten geben, die Erfahrung damit haben, ihr Flugzeug nahe der Gipfelhöhe von Hand zu steuern. Dort oben sind die Verhältnisse deutlich anders als in tieferen Luftschichten. Das zum Fliegen und Manövrieren zur Verfügung stehende Geschwindigkeitsband ist nur noch sehr klein. Nach oben ist die Geschwindigkeit durch die maximal zulässige Mach-Zahl begrenzt, nach unten durch den kritischen (maximal zulässigen) Anstellwinkel. Man kann somit nur mit vorsichtigen und kleinen Höhenruderausschlägen arbeiten, um nicht sogleich die obere oder untere Begrenzug zu überschreiten, was in beiden Fällen sehr gefährlich ist. Für den Horizontalflug in ruhiger Luft ist das kein Problem und moderne Autopiloten steuern ohnehin wesentlich feinfühliger als der Mensch. Extrem schwierig wird es da oben jedoch, wenn man das Flugzeug plötzlich aus einer abnormalen Fluglage oder aus dem überzogenen Flugzustand ausleiten muß. Drückt oder zieht man dabei ein Quäntchen zu viel, überschreitet man schon die kritische Mach-Zahl oder die Strömung reißt ab...und die Situation verschlimmert sich nur noch weiter. Dafür sind Verkehrspiloten nicht ausgebildet, das haben sie nie trainieren müssen.

Im Fall des Air France A330 kam noch hinzu, daß die Besatzung den Flugzustand nicht richtig eingeschätzt hat, da er einfach zu weit außerhalb ihres Vorstellungsvermögens lag. Man hatte maximalen Schub gesetzt und hielt die Längsneigung auf einem normalen Wert. 'Wie kann das Flugzeug bei dieser normalen Fluglage und vollem Schub so schnell an Höhe verlieren?! Das kann nicht sein. Das ist doch einfach unmöglich.'
Ihnen war offensichtlich nicht bewußt, daß man ein Flugzeug in jeder Fluglage, somit auch bei jedem Längsneigungswinkel überziehen kann - und diese Unklarheiten dürften alle aus der fliegerischen Grundausbildung herrühren. Dazu ist sehr wahrscheinlich auch eine teilweise mentale Blockierung gekommen, die durch die vielen widersprüchlichen Anzeigen sowie den extremen Stress ausgelöst worden sein kann.
Wie bereits weiter oben schon von mir beklagt, eine Anzeige des alarmierend hohen Anstellwinkels und des ebenso alarmierend steilen Flugbahnwinkels war in dem State-of-the-Art Cockpit des A330 leider nicht vorhanden.

Heutige Verkehrspiloten fliegen pro Flug ihr Flugzeug nur noch für ca. 3 Minuten von Hand: ca. 90 Sekunden beim Start und ca. 90 Sekunden bei der Landung. In Bodennähe ist das Fliegen zudem viel einfacher, als in großen Flughöhen mit den dort besonders eingeschränkten Manövriergrenzen. Überrascht es da eigentlich noch, wenn Piloten beim Auftreten unerwarteter Situationen in Reiseflughöhe ganz schnell an die Grenzen ihrer Fähigkeiten gebracht werden?
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Re: Absturz AF 447

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Mo 1. Okt 2012, 20:51

Danke Thomas, Du stehst voll im Stoff Bild

Heute darf ich das schreiben - wir holten von Minsk eine TU-134 nach hause ...
da wir leer waren wollten wir mal eine Nummer höher als sonst (und als erlaubt).
Wurde genemigt (unterwegs), so sind wir in den Höhen gewesen die Du beschreibst.
... keine besonderen Vorkommnisse ...
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