"Aeroflot fliegt mit deaktivierten Bremsen - Piloten können nur noch mittels Schubumkehr bremsen"
Solche hirnrissigen Meldungen sind im August durch den Blätterwald gegangen. Offenbar ist sich niemand mehr zu schade, daß zu drucken, die Leser so zu belügen.
Ausgangspunkt war ein Artikel der in Amsterdam herausgegebenen Online-Zeitung "Moscow Times" vom 2. August 2023. Während dieser den Sachverhalt noch technisch einigermaßen korrekt wiedergab, verstiegen sich andere Medien zu absurden Behauptungen, die den oben genannten entsprechen.
Es ist technisch unmöglich, ein Verkehrsflugzeug ohne Bremsen zu betreiben, wofür es gleich mehrere Gründe gibt.
Ohne Radbremsen dürfte man es kaum bis zur Startbahn schaffen, denn vor jeder 90-Grad Kurve muß man das Flugzeug auf deutlich unter 10 kts Geschwindigkeit abbremsen. Das geht mit Schubumkehr nicht. Jede Rollbahn mit Gefälle wird sofort auch zum Problem.
Mit Schubumkehr kann man die Rollgeschwindigkeit nicht regeln, da sie nur mit großer zeitlicher Verzögerung wirkt (im Gegensatz zur augenblicklichen Wirkung von Radbremsen).
Bei geringen Geschwindigkeiten hat Schubumkehr nur eine sehr geringe Wirkung.
Der Einsatz der Schubumkehr ist bei geringen Rollgeschwindigkeiten nicht zulässig, da Fremdkörper oder heiße Abgase in die Triebwerke gelangen können.
Je nach Beladung rollen manche Flugzeuge bereits mit Leerlaufschub. Will man die etwa durch schnellen Wechsel zwischen Normal- und Umkehrschub auf der Stelle halten?
Ohne Radbremsen ist ein Startabbruch nicht möglich. Jeder Start wäre daher nicht nur allein deshalb schon illegal, sondern eine potentielle Selbstmordmission.
Mit Schubumkehr allein kann man ein Flugzeug nach der Landung nicht zum Stehen bringen. Dafür wären überlange Pisten nötig.
Halluzinieren wir zum Schluß und nehmen an, daß ein Flugzeug ohne Bremsen nur durch Schubumkehr nach der Landung erfolgreich auf Rollgeschwindigkeit abgebremst worden ist. Wie bringt man das Flugzeug am Flugsteig auf 20 cm genau zum Stehen, wenn der Einweiser das Stopp-Signal gibt? Mit genauestens dosierter Schubumkehr? Lächerliche Vorstellung!
Was war wirklich passiert?
Aufgrund der Sanktionen gegen Russland gibt es erhebliche Probleme mit der rechtzeitigen Ersatzteilversorgung für nicht-russische Flugzeuge. So fehlte es Ende Juli auch an Bremsscheiben für die Fahrwerke von insgesamt neun Flugzeugen der Aeroflot. Es waren fünf 777, zwei A321, ein A320 und ein A330 betroffen.
Gemäß der Minimum Equipment List (MEL) ist es beispielsweise für die A320 zulässig, vorübergehend (max. für zehn Tage) mit
einer deaktivierten Bremse zu fliegen. Das heißt von den vier Bremsen des Hauptfahrwerkes funktionieren noch drei, die dann aber auch einem höheren Verschleiß unterliegen.
Es kann also keine Rede davon sein, daß Aeroflot-Piloten ohne Bremsen auf Strecke geschickt wurden.
Die Behauptung, die Piloten hätten Flüge ausgeführt, bei denen ausschließlich mit Schubumkehr gebremst werden konnte, sind hanebüchener Unsinn.