Was war los mit dem "Kanzlerinnenjet"?

Kilo Mike Sierra
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Was war los mit dem "Kanzlerinnenjet"?

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » So 30. Dez 2018, 20:07

Ich bin fast schon geneigt, diesen verhinderten Flug zum G20-Gipfel unter der Rubrik "Räuberpistolen aus der Luftfahrt-Berichterstattung" zu kommentieren. Das verkneife ich mir aber, da ich dafür leider nicht genug Details kenne und meine A340-Zeit liegt auch schon fast zwanzig Jahre zurück.

Was ich bisher dazu gelesen habe, ist jedoch irgendwie haarsträubend.
Ich möchte vorausschicken, daß die A340 als immerhin vierstrahliges Langstreckenflugzeug reichlich mit mehrfach redundanten Systemen ausgestattet ist.

Nun soll eine defekte Lötstelle einen Umformer außer Betrieb gesetzt haben. Das ist noch glaubhaft. Was danach noch alles passiert sein soll, nämlich daß u.a. gleich mehrere Relais ausgefallen seien, die der Umstellung des elektrischen Systems auf "Notstromversorgung"(?) dienen, das strapaziert dann doch schon etwas.
Warum überhaupt gleich diese minimalistische Notstrom-Konfiguration, wenn doch nur einer von insgesamt drei Umformern ausgefallen ist?
Bei Ausfall eines Umformers gibt es für die Piloten normalerweise nichts zu tun. Die Rekonfiguration des elektrischen System geschieht automatisch (sofern alles andere funktioniert)

Unter Bezug auf den Bundeswehr-Untersuchungsbericht wurde berichtet, daß auch Teile der Hydraulik von dem Stromausfall betroffen waren - zum Beispiel für das Ablassen von Treibstoff. Zuerst dachte ich, daß hier etwas durcheinander geraten wäre. Aber es gibt tatsächlich eine indirekte Verbindung zwischen der Hydraulik und dem Treibstoffsystem. Einzelne Pumpen und Ventile des Tanksystems (darunter auch die Notablaßventile) können bei Notwendigkeit auch vom Emergency Generator (Notstrom-Generator) betrieben werden - und der wird durch das sogenannte grüne Hydrauliksystem angetrieben.
Wenn der Notablaß wegen eines Hydraulikproblemes nicht funktioniert hat, so könnte man daraus schlußfolgern, daß es sich bei dem ausgefallenen Umformer um den Essential Transformer gehandelt hat. Sein Ausfall hat zur Folge, daß der DC Essential Bus (Gleichstrom-Schiene für Hauptsysteme) nicht versorgt wird, was zu zahlreichen Systemausfällen führt.
Doch warum in der Welt sollten die Piloten den Emergency Generator in Betrieb nehmen? Das ist doch nur notwendig, wenn alle vier Hauptgeneratoren an den Triebwerken ausgefallen sind. Wollten sie damit etwa den stromlosen DC Essential Bus versorgen? Das geht normalerweise, aber nur wenn der Esssential Transformer auch funktionsfähig ist, aber er war es wohl nicht.

Zu der am Problem wohl maßgeblich beteiligten digitalen Audio Management Unit (AMU) wurde im Untersuchungsbericht der Bundeswehr geschrieben, daß nach einem Stromausfall "bei einer digitalen AMU im Gegensatz zur analogen AMU die Kommunikation nicht wiederhergestellt werden kann".
Wie bitte?! Ein Gerät mit diesen Eigenschaften, an dem alle fünf Funkgeräte hängen, soll für den Luftverkehr zugelassen worden sein? Wer würde solche Wegwerf-Avionik freiwillig in sein Flugzeug einbauen?
Das ist der Teil, den ich nicht wirklich glauben kann, aber ich hoffe, daß da nur etwas falsch formuliert worden ist.
Airbus Industrie hat vor Jahren zur Problematik "Reboot" der AMU nach vorübergehendem Stromausfall einen Service Bulletin verbreitet. Darin wird beschrieben, wie man die Kommunikation wieder herstellt. Also geht es doch.
Somit war möglicherweise die Flugzeugdokumentation (Handbücher, Check-Listen) an Bord des Regierungsflugzeuges nicht auf dem letzten Stand, zumindest was dieses Detail betrifft.

Der Lufthansa Technik wurde ja auch ein Teil der Schuld zugeschoben. Sie hätte 2010 die analoge AMU durch diese digitale AMU ersetzt, die Bundeswehr aber nicht darauf hingewiesen, so daß die Check-Listen nicht angepaßt worden wären.
Die Lufthansa Technik hat das umgehend dementiert und betont, sie sei ihrer Dokumentationspflicht nachgekommen.

Vielleicht haben sich die Piloten auch nur im Dickicht der Check-Listen für gleich mehrere Systemausfälle verlaufen, zumal diese nicht jede Fehlerkombination abbilden können.

Wie dem auch sei, die mediale Reaktion auf diesen Vorfall ist auf jeden Fall eine Räuberpistole.

Es ist für mich nach wie vor erstaunlich, mit welcher Vehemenz und "Phantasie"die Medien die Flugzeuge der Flugbereitschaft schlecht reden. Haben die überhaupt eine Vorstellung, wie alt die 747-Flugzeuge sind, mit denen die US-Präsidenten auf Reisen gehen?
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Thomas

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Lancano
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Re: Was war los mit dem "Kanzlerinnenjet"?

Ungelesener Beitragvon Lancano » So 30. Dez 2018, 23:47

Ich finde die Berichterstattung in den Medien auch sehr zweifelhaft. Ein 30 Jahre altes Flugzeug welches regelmäßig nach Vorschrift gewartet wurde steht einem neuen Fluggzeug ebenbürtig gegenüber.

Ich selber bin mit der Flugbereitschaft 1997 nach Wiinnipeg und 2002/2003 mehrmals nach Skopje und zurück geflogen. Auch heute würde ich mich ohne Angst in eines der Flugzeuge der Flugbereitschaft setzen.

Fakt ist jedenfalls das die Flugzeugführer das Flugzeug samt Paxe sicher in Köln gelandet haben. Dank und Anerkennung dafür.
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bluemchen
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Re: Was war los mit dem "Kanzlerinnenjet"?

Ungelesener Beitragvon bluemchen » Di 5. Feb 2019, 11:42

Einwurf: Wie fliegen heute die Spitzenpolitiker ?

"Die Spitzenpolitiker der Welt fliegen heute nur noch selten in konventionellen Flugzeugen, auch in der ersten Klasse. Für Auslandsreisen nutzen viele Staatsoberhäupter speziell ausgerüstete Hochgeschwindigkeits-Liner. …"

Einblicke, durchaus interessant, hier in Argumente & Fakten http://www.aif.ru/politics/world/bezbil ... vye_lidery

(Um es vorwegzunehmen: Auch die gute IL-62M von Kim Yon ist noch vertreten - bei Air Korea mit 39 Jahren am Himmel)
Doch lest mal selbst - bing und google helfen mir immer >grins<
# # #
R.
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*Träger der Roten Mainelke und des aberkannten Status GDR, gedient in Fremden Streitkräften*


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