Landeunfall RRJ-95B "Superjet" (RA-89098) in Moskau.

EA-Henning
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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » Mo 20. Apr 2020, 20:15

Das Autoritätsgerangel in Russland muss dringend aufhören, um nicht vollends das Gesicht zu verlieren.
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Kilo Mike Sierra
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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mo 20. Apr 2020, 22:06

Es gibt Länder (auch innerhalb der EU), in denen es für Piloten nicht empfehlenswert ist, einen Flugunfall zu überleben. Genauso riskant ist es in diesen Ländern, Vorgesetzter eines Piloten zu sein, der in einen Flugunfall verwickelt ist.
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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Do 23. Apr 2020, 15:22

Dieses am 15. April 2020 veröffentlichte Video zeigt, daß der Superjet ein Problem mit der Strukturfestigkeit hat (ähnlich wie die DC-10 und MD-11). Das Fahrwerk bricht bei einer harten Landung wie vorherberechnet und weicht nach oben und hinten aus, um die Struktur zu schützen. So weit so gut. Dennoch wurde hier auf beiden Seiten die Flügelstruktur zerstört, so daß sofort sehr große Mengen an Treibstoff austreten konnten, die sich sogleich entzündet haben.
Die Untersuchungskommission hat zugunsten des Flugzeuges argumentiert, die Struktur sei ja erst beim dritten Aufsetzen entscheidend geschädigt worden, als das Fahrwerk schon weg war - und deshalb habe das Flugzeug beim dritten Aufsetzen die Zulassungskriterien nicht mehr erfüllen können.
Dem letzten Teil kann ich nicht folgen. Harte Landungen gehen oft mit Springen einher. Und was ist bei Bauchlandungen mit eingefahrenem Fahrwerk?
Es kann nicht sein, daß eine harte Landung mit Fahrwerksbruch dazu führt, daß ein ansonsten noch intaktes Flugzeug sofort wie eine Fackel brennt.



Und warum läßt sich das Flugzeug im Direktmodus so schlecht steuern, daß ein erfahrener Pilot anfängt, am Knüppel zu rühren? Die Analyse dazu wollte die Untersuchungskommission im Abschlußbericht vorlegen. Dieser liegt noch nicht vor, aber der Kapitän ist bereits "verurteilt".


Daß die Evakuierung schlecht gelaufen ist, kann man auch sehen.

Vom Stillstand bis zum Beginn der Öffnung der Türen 1R und 1L vergingen 7 Sekunden bzw. 17 Sekunden. Die Reaktion an der Tür 1L hat viel zu lange gedauert.
An der Tür 1R verließ der erste Passagier das Flugzeug 2 Sekunden nachdem die Notrutsche sich vollständig entfaltet hatte.
An der Tür 1L vergingen dagegen 7 Sekunden. Warum lief die Evakuierung dort insgesamt erst 15 Sekunden später an? Eine Ewigkeit.
Obwohl zwei Türen offen standen, haben pro Sekunde nur 1,3 Insassen das Flugzeug verlassen können. Somit hätte die Evakuierung aller 78 Insassen etwa 60 Sekunden gedauert, doch so viel Zeit hatten die Menschen in der hinteren Hälfte der Kabine nicht.

Hoffentlich wird auch das im Abschlußbericht analysiert.
War wieder der "Hauptgang" (der schmale Mittelgang) der Flaschenhals?
Führte der Cabin Call aus dem Cockpit zu den großen Verzögerungen an der Tür 1L? Gibt es immer noch kein optisch und akustisches Evakuierungssignal aus dem Cockpit an die Kabine oder mußte die Purserin wirklich erst noch ans Telefon (anstatt ihre Tür zu öffnen)?
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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » So 3. Mai 2020, 18:57

Zu meinem obigen Blick auf die Evakuierung möchte ich noch ergänzen, daß die 15 Sekunden Verzögerung an der Tür 1L etwa zehn Menschenleben gekostet hat.
Man kann es ausrechnen. Jeder Passagier, der andere im Gang für mehr als eine halbe Sekunde aufgehalten hat oder an der Notrutsche nur 1,5 Sekunden gezögert hat, der hat die Rettung eines anderen Passagiers verhindert und ihm den Tod gebracht.

In der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) wurde am Tag nach dem Unfall unter anderem eine der Stewardessen wie folgt zitiert
Auf dem Weg zum Ausgang hätten Passagiere Verwandte angerufen. „Ich habe Passagiere hinausgeschubst. Ich habe sie am Kragen gepackt, damit sie die Evakuierung nicht verzögern.“

Bei der FAZ wurde sogar eine Quelle für die diese Aussage genannt, die ich nachprüfen wollte, aber ich konnte sie dort so nicht finden.

Stattdessen habe ich das gefunden: Interview mit Stewardess Tatjana Kasatkina
Sie berichtet unter anderem, daß die Kabinenfenster im hinteren Bereich bereits durchgeschmolzen waren, als das Flugzeug noch nicht zum Stillstand gekommen war. Und sie sagt tatsächlich, daß eine Frau jemanden angerufen hätte.
Auf dem Weg zur Notrutsche noch Zeit zum Telefonieren finden, das ist nicht nur menschenverachtend gegenüber den anderen Passagieren, sondern zeugt zugleich auch von suizidaler Blödheit. Warum hat sie sich nicht gleich noch einen Cognac servieren lassen?

Falls jemand besser Russisch kann, wäre ich an weiteren Details aus dieser sehr ausführlichen Schilderung interessiert. Zum Beispiel warum schauten plötzlich alle auf sie? War das der Moment, in dem die beiden Fahrwerke brachen?
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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon bluemchen » Mo 4. Mai 2020, 20:24

Zum 05. Mai (= ein Jahr nach dem Unfall) sollte der Abschlußbericht vom Interstate Aviation Committee (IAC) vorgelegt werden.
Wie Tass berichtet, wird das nicht geschehen.

Offensichtlich sind noch zu viele Fragen, wie Thomas schon feststellte, ungeklärt und harren der Untersuchung. Aufgeführt sind folgende von der Kommission beauftragte Studien eben noch nicht abgeschlossen:
"- Brandschutzblöcke,
- Physik der Brandentstehung und -ausbreitung nach der Landung des Flugzeuges,
- Bewertung der Zerstörungsreihenfolge der Flugzeugstruktur,
= in erster Linie Fahrwerk und Tragfläche an der Stelle der Treibstofftanks, sowie Bestimmung der tatsächlichen Eigenschaften der Sicherungsstifte an den Befestigungspunkten der Fahrwerksträger und deren Übereinstimmung mit den in der Konstruktion festgelegten Anforderungen", wie es im Bericht heißt.
Die Untersuchungen werden fortgesetzt und - es gibt noch einen Passus: " "Um Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, werden alle im Laufe der Untersuchung identifizierten Gefahren unverzüglich den interessierten Organisationen vorgelegt, einschließlich Rosaviation, die eine Musterzulassung für das Flugzeug RRJ-95 ausstellte", betonte die IAC.

Ich gehe davon aus, daß Letzteres branchenüblich ist, und nach der Fülle der Dinge wird es noch einige Zeit brauchen

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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon bluemchen » Di 5. Mai 2020, 21:33

Heute ist der 05. Mai

Auf Lenta.ru https://lenta.ru/articles/2020/05/05/superjet/
gibt es einen sehr ausführlichen bebilderten Artikel zu der Scheremetjewo Katastrophe, wo der Kommandant Jewdokimow seine Version / Eindrücke detailliert darlegt.
(Wer sich hier neu einliest: Es geht um die Landung einer vom Blitzschlag vorgeschädigten Maschine)

Eine Kurzfassung aus der Tass https://tass.ru/proisshestviya/8398809 ergibt ein Bild, daß, im Kontext mit den Anmerkungen vom Thomas, erhebliche Fragen aufwirft.
Lassen wir ihn zu Wort kommen: Denis Jewdokimow glaubt, dass der Grund für die Fehlfunktion des Liners auf dem Flughafen Scheremetjewo
am 05. Mai 2019, die zum Tod von 41 Menschen führte,
"die Nichteinhaltung der Lufttüchtigkeitsstandards war für die starre Landung des SSJ-100 ."

"Unvereinbarkeit mit Lufttüchtigkeitsstandards! Hätte der Hersteller das Flugzeug rechtzeitig fertiggestellt, hätten sich solche Zwischenfälle in der Luftfahrt nicht wiederholt, was bedeutet, dass die Flugsicherheit auf einem akzeptablen Niveau gewesen wäre und die Risiken auf ein Minimum reduziert worden wären", sagte der Pilot auf die Frage nach den Ursachen der Katastrophe.

Jewdokimow sagte ferner, "daß nach einem Blitzeinschlag das Kontrollsystem des Flugzeugs nicht mehr funktionierte, so daß er das Flugzeug manuell bedienen mußte: Nach einem Blitzschlag sei es unmöglich, manuell weiterzufliegen - Im Direktmodus könne man nur in geringer Höhe fliegen, was zu einem erhöhten Treibstoffverbrauch führe. (= es stand der Vorwurf im Raum, nach dem Blitzschlag nicht einfach zum Zielort weitergeflogen zu sein )
Nach Angaben des Piloten reagierte das Flugzeug nicht richtig auf seine Handlungen bei der Landung. "Wenn der Steuerknopf ausgelenkt wurde, hob das Flugzeug seine Nase nicht an, sondern senkte sie ab und umgekehrt",

Er sagte, "es sei unmöglich, eine zweite Runde zu fliegen (go around und zweiter Anflug), da das Flugzeug auf den Steuerknopf umgekehrt reagiere. Die (Leistungs)Erhöhung der Triebwerke bis zum (Durch)Start führt zu einer sehr starken Erhöhung des umwandelnden Drehmoments, was zu Nasen(problemen) auf der Startbahn oder zu einem Heck(Aufprall) geführt hätte, wenn das Flugzeug wieder (richtig) auf die Steuerung reagiert hätte.
In beiden Fällen, da bin ich mir sicher, wären alle gestorben"


~~~~~~~~~~~~~~~~~

Was sagt die objektive Kontrolle (Recorder) aus zu dieser Schilderung ? Diese Auswertung sollte doch vorliegen, das Zweite sind die beauftragten technologischen Untersuchungen ... und das kann ob der Komplexität noch dauern

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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon bluemchen » Mi 6. Mai 2020, 19:55

Noch einen Anfügung
Dieser Vorgang wird natürlich in der Branche diskutiert und so kam zur Sprache, daß (vermutlich) das Gericht die Argumente der Verteidigung im Fall des Absturzes des Suchoi-Superjets 100 im Mai letzten Jahres nicht (oder nicht genügend) berücksichtigt hat - so ein
ehemalige Designer des Suchoi-Konstruktionsbüros,

Er forderte das Gericht auf, ein gerichtliches Experiment durchzuführen, um zu prüfen, wer an der Tragödie schuld war. Als Teil des Experiments schlug der Luftexperte vor, den Piloten Denis Jewdokimow, auf einem Simulator das Verhalten des Flugzeugs am Tag der Tragödie wiederholen zu lassen.
Insbesondere behauptet der Pilot, das Kontrollsystem habe die Pilotenteams falsch wahrgenommen, und unter solchen Bedingungen sei es schwierig gewesen, das Flugzeug zu landen. Dieses Experiment, so der Aero-Experte, werde es ermöglichen zu überprüfen, ob es wirklich so hätte sein können, wie der Angeklagte sagt.

- Das man hier noch keine Simulation vorgenommen hat, ist für mich eher verwunderlich. Irgendwie muß man doch dahinter steigen, was das Steuerungssystem verwirrt hat - wenn es so war.
Und
in dem Zusammenhang meint auch ein Testpilot (TU), der die Maschine allerdings nie geflogen hat, daß er... keinen Zweifel daran hat, daß es nicht sicher ist, mit einem Superjet zu fliegen.
Auch wenn hier nach meiner Meinung Befangenheit vorliegen könnte, wie man bei uns immer sagt, bin ich gefühlsmäßig auf der Seite derer die sagen:
"Die Position der Verteidigung ist für unsere Luftfahrt wichtiger als die der Anklage, da die Sicherheit des Fluges mit diesem Flugzeugtyp in der Zukunft davon abhängt"
Es ist Jetzt Sache des Gerichts, sie zu prüfen, die Argumente der Verteidigung!

Man darf gespannt sein
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Re: Landeunfall eines Aeroflot SSJ in Moskau.

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Di 12. Mai 2020, 16:40

bluemchen hat geschrieben:...
Nach Angaben des Piloten reagierte das Flugzeug nicht richtig auf seine Handlungen bei der Landung. "Wenn der Steuerknopf ausgelenkt wurde, hob das Flugzeug seine Nase nicht an, sondern senkte sie ab und umgekehrt",

Er sagte, "es sei unmöglich, eine zweite Runde zu fliegen (go around und zweiter Anflug), da das Flugzeug auf den Steuerknopf umgekehrt reagiere. Die (Leistungs)Erhöhung der Triebwerke bis zum (Durch)Start führt zu einer sehr starken Erhöhung des umwandelnden Drehmoments, was zu Nasen(problemen) auf der Startbahn oder zu einem Heck(Aufprall) geführt hätte, wenn das Flugzeug wieder (richtig) auf die Steuerung reagiert hätte.
In beiden Fällen, da bin ich mir sicher, wären alle gestorben"


~~~~~~~~~~~~~~~~~

Was sagt die objektive Kontrolle (Recorder) aus zu dieser Schilderung ? Diese Auswertung sollte doch vorliegen, das Zweite sind die beauftragten technologischen Untersuchungen ... und das kann ob der Komplexität noch dauern
...

Ich habe mir die aus den Daten des Flugschreibers abgeleiteten Schriebe mit den Verläufen der Flugparameter angeschaut. Dabei ist mir folgendes ins Auge gefallen.

    Der Pilot bewegt kurz vor dem Aufsetzen den Sidestick zunehmend hektisch hin und her. Ca. 3 s vor dem Aufsetzen drückt er ihn erstmals bis zum Anschlag nach vorn, 0,7 s später hat er ihn bereits maximal gezogen, hält ihn dort für 0,5 s, drückt ihn innerhalb von 0,3 s wieder voll nach vorn, hält ihn dort für 1,3 s und zieht ihn 0,2 s vor dem Aufsetzen innerhalb von 0,3 s wieder voll nach hinten.
    Das Höhenruder ändert dabei seinen Ausschlagwinkel mit einer maximalen Rate von 30°/s. Das erscheint mir sehr langsam.

Daraus folgt, wenn der Pilot bereits voll umgesteuert hat, hat das Höhenruder erst 20 Prozent seines Verstellwegs zurückgelegt - steht also immer noch deutlich auf der "falschen" Seite.
Bei dieser fehlenden Dynamik des Höhenruders ist es kein Wunder, daß der Pilot mehr und mehr am Sidestick rührt. Zuerst hat er das Gefühl, es passiert nichts, doch kurze Zeit später ändert sich die Längsneigung unerwartet rasant. Um dem entgegenzusteuern, bewegt er den Sidestick zurück bis zum entgegengesetzten Anschlag, doch anfangs passiert scheinbar wieder nichts. Und immer so weiter. Das führt zwangsläufig zum Aufschaukeln.
Diese kurz vor der Landung zunehmenden Schwingungen um die Längsachse sind in den Flugschreiberdaten sehr deutlich zu sehen.

Die oben zitierte Beschreibung des Piloten über das Steuerverhalten paßt genau dazu. Er bewegt den Sidestick mit einer deutlich höheren Winkelgeschwindigkeit als das Höhenruder in der Lage ist zu folgen. Um im selben "Takt" wie das Höhenruder zu arbeiten, dürfte der Pilot den Sidestick nur mit einer maximalen Rate von ca. 20°/s bewegen.
Um das Flugzeug im Direct Mode so zurückhaltend zu steuern, benötigt man Training, ganz besonders für die Landung - und dieses Training bekamen die Piloten nicht.

Im Sinkflug hatte der Pilot keine erkennbaren Steuerungsprobleme. Diese begannen erst kurz vor dem Aufsetzen, wo wesentlich präziser gesteuert werden muß als noch Sekunden zuvor. In dieser Phase arbeiten Piloten recht dynamisch mit dem Steuerhorn oder dem Sidestick, denn alle Korrekturen müssen sofort ausgeführt werden, um nur minimale Abweichungen vom Sollflugweg zuzulassen.

Ich habe eine Vermutung, warum man das Rate Limit für das Höhenruder im Direct Mode auf 30°/s gesetzt hat.
Damit wollte man verhindern, daß zu abrupte Steuereingaben auf das Höhenruder gelangen, die u.U. die Strukturfestigkeit des Flugzeuges überschreiten. Im Direct Mode gibt es, anders als im Normal Mode, keine Schutzfunktionen gegen ein zu hohes Lastvielfaches (g load).
Mit einem Rate Limiter für die Verstellgeschwindigkeit der Ruder kann man dieses Risiko mildern, handelt sich aber schnell ein Problem mit Pilot-Induced Oscillation (PIO) ein. So dürfte es hier geschehen sein. Das wäre ein konstruktiver Mangel des Flugzeuges.

Der PIO-Effekt ist sowohl in der englischen als auch in der deutschen Wikipedia korrekt und verständlich beschrieben, was ich endlich einmal loben kann.
Pilot-Induced Oscillation
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Thomas

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Lese-Empfehlung

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Mi 13. Mai 2020, 15:49

In der Zeitschrift "Pilot und Flugzeug", die nach dem vorzeitigen Tod ihres Herausgebers Heiko Teegen ihr fachlich hohes Niveau offenbar halten konnte, sind schon im Herbst letzten Jahres zwei extrem interessante Artikel zum Landeunfall des Superjets erschienen.
Der Lufthansa-Pilot Peter Klant analysiert darin den Landeunfall des Superjets sehr detailliert und das auch noch in sehr verständlicher Sprache.

Ich bin leider erst heute auf die beiden Artikel gestoßen. Beim Lesen habe ich Gänsehaut bekommen, weil der Autor auf genau das gleiche Detail gestoßen ist, was mir bei der Analyse der Flugschreiberdaten auch aufgefallen ist: Höhenruder arbeitet am Rate Limit --> Pilot-Induced Oscillation
Auch Peter Klant stört sich daran, daß der Pilot von der technischen Untersuchungskommission öffentlich vorverurteil worden ist.

Hier die Links zu den beiden Artikeln:
Superjet - Anatomie eines Flugunfalls
Superjet - Pilot-Induced Oscillation
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Thomas

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Re: Landeunfall RRJ-95B "Superjet" (RA-89098) in Moskau.

Ungelesener Beitragvon bluemchen » Mi 21. Jun 2023, 16:24

Die Urteilsentscheidung ist gefallen - das Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die den Kapitän als Verantwortlichen für den schlimmen Unfall sieht...

https://www.aerotelegraph.com/superjet- ... rafkolonie

Sollten damit alle Fragen aus der Welt geschafft sein >frage<
Ich habe dazu so meine Zweifel, auch wenn (öffentlich) unbekannt bleibt, ob oder welche möglichen Auflagen die Untersuchungskommission noch fixiert hat, um ähnliche Vorfälle auszuschließen
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