Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

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Moderator: Kilo Mike Sierra

EA-Henning
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Re: Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » So 5. Jul 2015, 21:35

Ich stellte das Thema auf, weil es eben einige Sowjetflieger hatten, und andere nicht. Zudem gab es TU-134 mit und ohne Glasnase. Und das bis 1983. Das macht es für mich so interessant.
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EA-Henning
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Re: Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

Ungelesener Beitragvon EA-Henning » Do 13. Aug 2015, 18:21

Holger Lorenz hat in seinem Buch zur Dresden-153A auch über die Glasnase geschrieben:

Leseprobe Seite 66/67: Holger Lorenz - "Das Turbinenflugzeug Dresden-153A von 1959"
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Kilo Mike Sierra
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Re: Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Fr 14. Aug 2015, 11:21

Die von ihm angeführte Begründung für die lange Existenz der Glasnase ist richtig. Es fehlt vielleicht noch der Hinweis auf die Forderung des sowjetischen Militärs nach dem Vorhandensein einer Glasnase.

Der für die Abwesenheit des Navigators (eigentlich nur der Glasnase) bei westlichen Verkehrsflugzeugen genannte Grund (eben 'mal das Gehalt für ein Besatzungsmitglied sparen) ist jedoch nicht schlüssig. Die Funktion des Navigators konnte entfallen, nicht weil man lieber in mehr Bordausrüstung investierte (die dann bord-autonom hätte sein müssen), sondern weil im Gegensatz zur riesigen und dünn besiedelten Sowjetunion die Bodeninfrastruktur für Funknavigation (Funkfeuer) fast überall flächig vorhanden war. Die damals neu eingeführten Vierkurs-Funkfeuer (VAR) für die Streckennavigation, standen im weitaus größten Teil der Sowjetunion überhaupt nicht zur Verfügung. Dort gab es Ende der 50er Jahre nur ungerichtete Funkfeuer (NDB) und davon nicht einmal genug.

Wenn man damals kein Funkfeuer zum Anpeilen in Reichweite hatte, dann konnte man den Abdriftwinkel nur mit Hilfe einer Referenzlinie am Boden (Flugweg über Grund) bestimmen. Somit brauchte man ein Sichtmöglichkeit zum Boden, zum Beispiel eine verglaste Navigator-Kanzel mit Abdrift-Skale auf der planaren Scheibe.
Westliche Flugzeuge hatten zu dieser Zeit in der Regel keine Glasnase mehr, aber dennoch ein spezielles Sichtgerät im Cockpit, mit dem man senkrecht nach unten zum Boden schauen und durch Drehen einer Skale den Abdriftwinkel bestimmen konnte.
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Re: Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

Ungelesener Beitragvon bluemchen » Sa 4. Jan 2020, 20:02

In Ermangelung eines anderen spezifischen Navigations-Threeds bleibe ich hier hängen im Bezug auf die moderne fliegerische Ausbildung.
- Die "Glasnase" mit Flieger-Bernd drin (in der Glasnase) , kommt mir unmittelbar in den Sinn

Anlaß ist eine Diskussion nach einem weiteren Flugvorkommnis in diesem Jahr - die Notlandung eines Airbus A-320 von Red-Wings in Perm am 04. Januar.
Was war die Ursache ? - Linienflug Tjumen - St. Petersburg am Samstag morgen und es versagt das FMS. Davon gibt es augenscheinlich zwei, doch offenbar sind beide ausgefallen.
Nun geht es mir weniger darum, ob das geht, sein kann oder auch nicht …., sondern: Was macht in dem Falle die Besatzung? Mit Flieger-Bernd hätten alle gute Karten gehabt, bei den modernen Piloten scheint das aber irgendwie problembehaftet zu sein, was die Frage der Ausbildung aufwirft.

Vladimir Salnikov, ein Luftfahrtexperte, Pilot mit 45 Jahren Erfahrung äußert sich dazu:
Da in diesem Fall davon auszugehen ist, dass beide FMS-Systeme ausgefallen sind, so dass die BS der Piloten die Daten über die Flugstrecke nicht mehr anzeigten, entschlossen sie sich zur Landung.
"Auf den ersten Blick scheint es in Ordnung zu sein, aber der aktuellen Generation von Piloten wird gelehrt, ausschließlich mit diesen Daten im Automatikbetrieb zu fliegen."
"Wir Piloten, die zu Sowjetzeiten zu fliegen begannen, sagt er, hatten keine solchen Computer. Den Flugverlauf auf den Tu-134, Tu-154, IL-62, Yak-40 und anderen sowjetischen Flugzeugen legten wir manuell mit Hilfe der Spezialausrüstung Navi fest.
Vor dem Flug wurde eine Route auf die Karte gelegt. Der Pilot hat sich daran erinnert. Wir zeichneten uns "Flüge" - so kleine Papierpläne: - Wo sind die Zonen, welche Kurse, magnetische Deklinationen, welcher Wind … . Im Flugzeug gab es Geräte, die ein Signal von am Bodenbasierten Funkstationen empfingen, um die Strecke von einer Funkstation zur anderen zu fliegen..."

Jetzt ist alles Vergangenheit. In diesem Fall konnten die Piloten also (vorausgesetzt natürlich, dass alle anderen Systeme des Flugzeugs normal funktionierten), nicht einmal das Flugzeug auf die alte großväterliche Art und Weise an seinen Bestimmungsort bringen und sicher zu landen.
Dafür gibt es in jedem Flugzeug genügend Reserven! Sie könnten weiterfliegen, indem sie diese Punkte am Boden nutzen und die Route mit Hilfe eines Radiokompasses, der in allen Flugzeugen vorhanden ist, aufzeichnen. Aber es ist nur so, dass die Piloten es jetzt nicht tun können, weil sie nicht gelehrt werden, es jetzt zu tun.

Er erzählt, auf Superjet fliegend, "konnte ich meine Co-Piloten fast auf den Zustand des Nervenzusammenbruchs zu bringen, wenn einfach das FMS nicht einmal ausgeschaltet, sondern nur den Bildschirm mit der Zeitung abgedeckt wurde" und er sagte: "Sie haben einen Ausfall der FMS, führen Sie den Flug weiter mit den Backup-Geräten und der Karte. (Karten sind übrigens immer noch auf jedem Board vorhanden).
"Und ich beobachtete, wie in dieser Situation die Co-Piloten oft zu schwitzen, zu stottern begannen, nicht verstanden, was zu tun war und wie man sich verhalten sollte..."
Er konstatiert: "Wenn es aber tatsächlich zu einem Ausfall des Navigationssystems kommt, kann dies nicht als ernsthaftes Problem angesehen werden, daß die Sicherheit des Fluges grundlegend beeinträchtigen könnte. Es ist jedoch sehr wichtig, in einer solchen Situation richtig handeln zu können .
In diesem Fall müssen die Piloten alle Flugzeug- und menschlichen Reserven einsetzen, um den Flug sicher zu absolvieren.
Deshalb denke ich, sagt Salnikow, dass man diese Fähigkeiten bei der Ausbildung moderner Piloten nicht außer Acht lassen sollte. Und jede solche Notlandung ist eine weitere Erinnerung daran.

Hat er Recht >frage<
Ich könnte nur etwas zur "Navigation auf einsitzigen Flugzeugen" sagen, ist es denn aber tatsächlich so, daß hier eine solche Vernachlässigung (aus Zeit- und/oder Kostengründen) zu verzeichnen ist?
R.
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Re: Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » So 5. Jan 2020, 14:42

Was den Vorfall mit der A320 der Red Wings betrifft, so scheinen dort die FMCs nicht ausgefallen zu sein. Dort waren es wohl die vereisten(?) Drucksensoren am Staurohrsystem, die zu verfälschten und widersprüchlichen Geschwindigkeitsanzeigen geführt haben. Das ist wirklich haarig und potentiell sogar extrem gefährlich. Die sofortige Landung war hier dringend angeraten.


Mit seiner Einschätzung, daß viele Piloten heute ohne ihre automatisierten System schnell ins Schwitzen kommen, hat Herr Salnikow sicher Recht.
Man nennt diese modernen Computer-Piloten "Children of the magenta line" (Kinder der violetten Linie).

Das muß ich erklären.
Alle Flugweg- und Leistungsdaten, die vom Flight Management System (FMS) vorgegeben werden, werden auf dem Navigation Display (ND) in der Farbe Magenta dargestellt. Beim Wegfall dieser Magenta-Informationen (Ausfall des FMC) können Piloten arg ins Schleudern kommen. Plötzlich haben die Piloten keinen Flugplan mehr vor Augen. Einen auf Papier gedruckten Flugplan findet man immer seltener in den hochmodernen IT-Cockpits. Navigatorisch wird es also erst einmal zappenduster.

Aber, es wäre nicht gerecht, den jungen Piloten von heute die Alleinschuld dafür zu geben. Es hat sich noch etwas anderes geändert. Während früher auf feststehenden Luftstraßen von Funkfeuer zu Funkfeuer navigiert wurde, ist man später zur sogenannten Area Navigation (schlecht übersetzt als "Flächennavigation") übergegangen. Die Wegpunkte bestanden nun nicht mehr aus Funkfeuern, die man mittels Horizontal Situation Indicator (HSI) oder Radio Magnetic Indicator (RMI) spielend leicht anpeilen konnte, sondern aus frei definierten Waypoints (Wegpunkten). Diese Wegpunkte werden nur noch selten, durch ein Funkfeuer am Boden definiert, sondern meist nur durch geographische Koordinaten. Daher sind sie mit den klassischen Funknavigationsmitteln nicht mehr anzupeilen oder anzusteuern. Dazu braucht man nun zwingend ein Navigationssystem, daß auf geographischen Koordinaten sowohl für die Wegpunkte als auch die momentane Flugzeugposition basiert. Als Voraussetzug muß das System dazu über einen koordinatengebenden Positionssensor verfügen, heute meist GPS in Kombination mit einem Trägheitsnavigationssystem. Ein solches System besteht zwangsläufig auch aus einem Computer, der von den aktuellen Koordinaten des Flugzeuges die Richtung und Entfernung zur Koordinate des nächsten Wegpunktes berechnen kann. Das FMS ist ein solches Area Navigation System und heute Standard bei den Verkehrsflugzeugen.
Inzwischen gibt es sogar Länder (z.B. Slovakei), wo es nicht einmal mehr Luftstraßen gibt. Es ist heute supermodern, ohne Luftstraßen und stattdessen querbeet zwischen beliebigen Koordinaten zu fliegen. Da hilft einem dann auch keine Luftraumkarte mehr, denn diese zeigt nur eine weiße Fläche.

Fallen beide Flight Management Computer (FMC) des FMS aus, dann gehen nahezu alle Navigationsinformationen verloren: aktuelle Position, Flugplan, somit auch Entfernung und Steuerkurs zum nächsten Wegpunkt, Sollgeschwindigkeiten und -Höhen über allen noch zu überfliegenden Wegpunkten, kalkulierte Treibstoffrestmenge und Überflugzeiten über den Wegpunkten sowie am Zielflughafen. Außerdem können Standard Arrival Procedures (STAR) und Goaround Procedures nicht mehr angezeigt und somit auch nicht korrekt abgeflogen werden.
Man kann sich das so vorstellen, als wäre auf einem älteren Flugzeug der Navigator mit dem Fallschirm abgesprungen.

Im Falle eines kompletten FMS-Ausfalls kann die Flugsicherung natürlich helfen, indem sie das Flugzeug anhand real vorhandener Funkfeuer navigieren läßt, sofern solche noch vorhanden sind. Eine weitere Alternative ist die Flugleitung mit Hilfe von Radar Vectors, d.h., die Flugsicherung gibt der Besatzung die zu fliegenden Steuerkurse vor.
Bei doppelseitigem FMC-Ausfall funktionieren die Geräte meist nach einem automatischen Neustart wieder.
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Re: Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

Ungelesener Beitragvon historienquax » Fr 22. Mai 2020, 18:43

Antonow hat es geschafft von der Glasnase wegzukommen. Dazu brauchte es die An-26, von der Glasnase im Bug zur Glasblase auf der linken Seite. Die Funktion blieb erhalten, der Navigator kann direkt nach unten schauen.
Das als Anmerkung dazu.
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Re: Die mysteriöse sowjetische Glasnase!

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Fr 22. Mai 2020, 23:59

Die Glasnase oder Navigatorkanzel war nur für Flüge innerhalb der Sowjetunion wichtig, da abseits der großen Ballungszentren die Ausstattung mit Funkfeuern in dem riesigen Land sehr spärlich oder nicht vorhanden war. Bei den zivilen Verkehrsflugzeugen fiel die Glasnase im Laufe der Weiterentwicklung weg (z.B. bei der Exportversion der Tu-134(A) nach Interventionen durch LOT und Aviogenex) oder sie wurde gar nicht erst vorgesehen (Il-14, Il-18, Il-62, An-24, Tu-134B, Tu-154, Jak-40, Jak-42). Für militärische Transportflugzeuge blieb sie jedoch lange Zeit generell unabdingbar (An-8, An-12, An-26 (seitlich), Il-14T (seitlich), Il-76).
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