Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Kilo Mike Sierra
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » So 8. Feb 2015, 11:49

Kilo Mike Sierra hat geschrieben:Der elektrische Antrieb für die Ruder-Arretierung wurde nach dem Unfall ausgebaut und auf einem Prüfstand im "Dauerbetrieb" getestet und funktionierte einwandfrei. Er dürfte somit nicht defekt gewesen sein.
...

Ich möchte dazu noch anmerken, daß das einwandfreie Funktionieren des elektrischen Antriebes nichts darüber aussagt, ob auch der "Rest" des Ruder-Arretiersystems (Auslöseschalter, Endschalter, Signalisation...) funktioniert hat.
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Flugi » Fr 13. Mär 2015, 20:27

Welchen Wahrheitsgehalt hat denn so eine gelesene Aussage?
"Bei der SEW ist die Blockierung des Höhenruders eingerastet. Die wird nur benutzt, wenn das Flugzeug parkt. Weil die Il-62 so hecklastig ist, wird sie zum Start mit Steuersäule ganz nach vorn angerollt. Nimmt man die Steuersäule dann auf neutral zurück, hebt das Flugzeug ab. Beim Anrollen der SEW hatte wohl der Pilot einen Tick zu weit vorgedrückt, so dass die dort befindliche Parksperre unabsichtlich einrastete."
Als Danke für die Antworten, ein Foto der Echo Whisky.
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Fr 13. Mär 2015, 23:27

Rhönlerche hat geschrieben:Bei der SEW ist die Blockierung des Höhenruders eingerastet. Die wird nur benutzt, wenn das Flugzeug parkt. Weil die Il-62 so hecklastig ist, wird sie zum Start mit Steuersäule ganz nach vorn angerollt. Nimmt man die Steuersäule dann auf neutral zurück, hebt das Flugzeug ab. Beim Anrollen der SEW hatte wohl der Pilot einen Tick zu weit vorgedrückt, so dass die dort befindliche Parksperre unabsichtlich einrastete.

1) Bei der SEW ist die Blockierung des Höhenruders eingerastet.
Es konnte nicht nachgewiesen werden, warum die Höhensteuerung blockierte. Die Ruderarretierung ist natürlich eine naheliegende Hypothese.

2) Die wird nur benutzt, wenn das Flugzeug parkt.
Das ist richtig.

3) Weil die Il-62 so hecklastig ist, wird sie zum Start mit Steuersäule ganz nach vorn angerollt.
Die Il-62 ist bei normaler Beladung nicht hecklastig. Das mit dem Drücken der Steuersäule ist richtig, doch eine 747 wird ebenfalls mit gedrückter Steuersäule angerollt. Der Grund ist nicht "Hecklastigkeit", sondern das Bestreben den Druck auf das Bugfahrwerk etwas zu erhöhen, damit die Bugfahrwerkslenkung bessere Wirkung zeigt, solange das Seitenruder noch nicht wirksam umströmt wird.

4) Nimmt man die Steuersäule dann auf neutral zurück, hebt das Flugzeug ab.
Das ist irgendwie unpräzise formuliert - so als ob man nur loslassen müsste. Auch die Il-62 wird "aktiv" abgehoben, indem man bei Erreichen der Rotationsgeschwindigkeit (VR) an der Steuersäule zieht und so die Längsneigung langsam auf maximal 7 Grad erhöht.

5) Beim Anrollen der SEW hatte wohl der Pilot einen Tick zu weit vorgedrückt, so dass die dort befindliche Parksperre unabsichtlich einrastete.
Die Einrastposition für die Ruderarretierung befindet sich tatsächlich am Anschlag der maximal gedrückten Position der Steuersäule. Doch wenn man das Steuerhorn einfach nur bis an diese Position nach vorn drückt, werden die Ruder noch lange nicht festgestellt (das wäre eine gefährliche Falle). Zum Feststellen der Ruder muß man den zugehörigen Wahlschalter der elektromechanisch arbeitenden Ruderarretierung für mindestens 20 Sekunden in die Stellung ARRETIEREN schalten - während das Steuerhorn nach vorn gegen den Anschlag gedrückt wird und mit den Ruderpedalen die Mittelstellung (Einrastposition) gesucht wird.
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Flieger Bernd » Sa 14. Mär 2015, 09:39

Danke Thomas !
Das sollte hier jeder einmal lesen, das gehört bei Wikigoogle auf die erste Seite.
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Flugi » Sa 14. Mär 2015, 18:49

Vielen Dank. Das präzisiert doch so eine Aussage sehr, auch die, die hier schon getätigt wurden. :-)
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Qurth1951 » Do 6. Aug 2015, 18:17

Nur mal der Vollständigkeit halber, ein kurzer Ausflug zur Ruderarretierung der IL-62 und zum Unfallhergang....

Die Verriegelung wurde für alle 3 Steuerflächen, also Höhe, Quer und Ruder elektrisch verriegelt mittels eines Schalters.
Dazu mussten das Steuerhorn voll nach vorn gedrückt, gleichzeitig voller Querruderausschlag nach links und die Pedale in die Mittelstellung gebracht werden.
Die Verriegelungsbolzen waren eine Art Dorn, der dann in die vorgesehenen Löcher der Steuerorgane einrastete.
Die Reihenfolge war, zuerst Ruder, dann Querruder und dann das Höhenruder.
Dieser Vorgang dauerte relativ lange bis ca2 min.
Die Entriegelung dann in umgekehrter Reihenfolge und nach dem ordnungsgemässen Entriegeln wurde lt Checklist die elektrische Sicherung des Antriebes ausgeschaltet um eine ungewollte Arretierung zu verhindern.
Bei der SEW wurde dieser Vorgang etwas zu früh unterbrochen und der Bolzen für das Höhenruder war noch nicht ganz in der Stellung entriegelt. Beim Flightcontrol check war das noch nicht aufgefallen, als allerdings dann der TO initiert wurde und das Höhenruder ganz nach vorn gedrückt wurde, ist dieser Bolzen wieder eingegeraste und der CPT konnte nicht mehr bei VR ziehen.
Wenn alle Procedures normal abgelaufen wären, hätte es das Unglück nicht gegeben, aber leider hate der BI, der erst kurz auf der 62 war, alle Triebwerke abgestellt, denn auf der IL-18, die er bisdahin flog, mussten die Triebwerkshebel über die Luftleerlaufsperre gezogen werden.
Bei der IL-62 ist diese Sperre allerdings die Abstellvorrichtun, also "TW abstellen", von daher hätte ein erfahrener BI niemals diese Sperre angehoben.
Ohne Schubumkehr war ein Abbremsen nicht mehr möglich, da das Flugzeug schon fast flog und nur noch 1Rad auf dem Boden war ( die Bremsspur war deutlich im letzten Bereich der Bahn sichtbar)
Es wurde zwar noch von der Besatzung versucht der ILS Antenne auszuweiche, was auch teilweise gelang, allerdings lag auf der Seite ein noch nicht eingegrabener Löschwassertank ( welch Ironie) den die Tragfläche berührte und den Tank aufriss und durch die Berührung von Metall auf Metall auch gleich den Zündauslöser des Brandes war.
Die Brandspur begann genau an diesem Punkt.
Alles weitere war dann Schicksal, hauptsächlich für die Passagiere, die im Bereich der Tragflächen saßen.

Übrigens war die Feuerwehr sehr schnell da.....

Ich hatte leider das zweifelhafte "Vergnügen " bei der Unfalluntersuchung teilzunehmen......
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Fr 7. Aug 2015, 11:15

Vielen Dank für die gute Darstellung der technischen Hintergründe. Damit hast Du mir mehrere noch offene Fragen beantwortet.

Es gibt arbeitswissenschaftliche Studien, die besagen, daß "Operateure" unter extremen Stressbedingungen in alte Routinehandlungen "zurückfallen". Neu erlernte Abläufe können plötzlich nicht mehr abgerufen werden. Genauso wird es wohl MS in dieser Situation ergangen sein.
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Qurth1951 » Fr 7. Aug 2015, 13:26

Ja, ist ja auch in der Gerichtsverhandlung zur Sprache gekommen.....
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon Kilo Mike Sierra » Di 18. Jul 2017, 15:59

Auf interflug.biz ist vor wenigen Tagen ein ausführlicher Bericht über den Unfall der DDR-SEW am 17. Juni 1989 in Berlin-Schönefeld veröffentlicht wurden. Autor ist der damals amtierende Flugbetriebsleiter der INTERFLUG, Horst Materna, der sich bei seiner Darstellung auf den Abschlußbericht der Sachverständigenkommission der Staatlichen Luftfahrtinspektion der DDR vom 12. Dezember 1989 stützt.
Die angegebenen Zeiten sind übrigens UTC.
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Re: Der Unfall der IL-62M DDR-SEW

Ungelesener Beitragvon bluemchen » Di 18. Jul 2017, 18:54

Danke an Horst Materna - man bleibt leider, auch heute noch, etwas ratlos zurück.
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