Als wären Politik und Medien noch nicht genug durchgeknallt, so wird jetzt auch in anderen Bereichen nachgelegt.
Ihr habt es bestimmt auch gehört, daß die Deutsche Lufthansa sechs 747-400 Flugzeuge auf dem Flughafen Twente (EHTW) geparkt hat. Als es nun darum ging, die Flugzeuge nach und nach wieder von dort auszufliegen, ist plötzlich die niederländische Luftfahrtbehörde ILT eingeschritten und hat erklärt, daß ein Start der Flugzeuge völlig ausgeschlossen sei. Als Begründung wurde angegeben, daß dem Flughafen für Flugzeuge dieser Größenordnung ein Sicherheitszertifikat fehle. Sie dürften dort nur landen, wenn sie von der dort ansässigen Firma AELS verschrottet würden. Für einen Abflug gäbe es zudem keine genehmigten Abflugverfahren, was ein Sicherheitsrisiko darstelle.
Der ILT fehlt also an einem Sicherheitszertifikat für den Start und an einem genehmigten Abflugverfahren.
Na, aber wer hat denn die Landungen genehmigt? Die ILT natürlich.
Was man dort nicht zu wissen scheint. Jedes Flugzeug, daß zur Landung freigegeben wird, ist implizit auch für den Go-around freigegeben. Ein Go-around ist jedoch nichts anderes als ein - äh Abflugverfahren.
Und wie wäre es mit einem Abflug nach Sicht? Der Klassiker, der ohne Entwicklung und Zertifizierung eines Abflugverfahrens auskommt.
Das von der ILT als zusätzliches Argument bemühte Sicherheitsrisiko ist unauffindbar.
An der angeblich recht kurzen Piste - man betont, daß diese normalerweise nur von Cessnas, Pipers und Cirrus-Flugzeugen genutzt wird - kann es nicht liegen. Für den Start stehen auf der 45 m breiten Bahn (Airliner Standard) satte 2.400 m zur Verfügung, für den Startabbruch sogar 2.700 m.
Ich habe mit dem Boeing-Flugleistungskalkulator ausgerechnet, daß eine 747-400 von dort mit einer Startmasse von 348 t sicher(!) starten kann. Das ist sehr viel mehr als die Leermasse von ca. 185 t. Die maximale Startmasse der 747-400 von Lufthansa liegt bei 394 t.
In einem 747-400 Flugsimulator habe ich den Start von der Piste 23 in Twente zudem einmal ausprobiert. Unter Standardbedingungen bei einer angenommenen Startmasse von 200 t für einen kurzen Überführungsflug und mit reduziertem Startschub (aufgrund der geringen Startmasse) ist der Flieger nach ca. 1.000 m Startrollstrecke abgehoben. Da waren nominal also noch 1.400 m Platz, notfalls 1.700 m. Die Startabbruchgeschwindigkeit v1 und die Geschwindigkeit zum Rotieren vR betrugen beide 126 kt (233 km/h).
Den Flughafenzaun habe ich in 1.000 ft Höhe (305 m) überflogen, wobei die Steiggeschwindigkeit 3.300 fpm (17 m/s) betrug.
Eine Cessna 172 wäre da noch lange nicht auf dieser Höhe, da sie nur mit ca. 700 fpm (3,5 m/s) steigt.
Auch bei einem Triebwerksausfall käme eine so leichte 747-400 problemlos von diesem Platz weg.
Heute hat die ILT dann doch noch klein beigegeben und gnädig eine Ausnahmegenehmigung für den Start der Lufthansa-Flugzeuge erteilt, natürlich unter erheblichen Auflagen. So dürfen die Flugzeuge nur abheben, wenn sie verkauft sind (Was ändert das an der Sicherheit des Abfluges?!) und mit minimaler Treibstoffzuladung (was die Lufthansa ohnehin geplant hatte).
In meinen Augen hat sich die holländische Behörde hier bis auf die Knochen blamiert.
29-06-20 Lufthansa Boeing 747-430 D-ABTK, Enschede Twente Airport (EHTW) by
Julian de Bondt, on Flickr