Ungelesener Beitragvon alphakrit » Mi 7. Dez 2005, 11:36
Oh mein Gott, da ist ja eines der sensibelsten Themen angeschnitten worden. Obwohl schon einiges gesagt wurde, laßt mich meinen Senf auch hizufügen. Es wird ein langer Beitrag.
Man muß zunächst einmal sagen, das das Thema über die langen 35 Jahre DLH/IF natürlich sehr unterschiedlich zu sehen wäre und wir uns vornehmlich auf die Zeit und Situation beziehen, wie sie kurz nach der Ausmusterung der AN-24 entstanden war. Mit der Einstellung des Inlandverkehrs waren Voraussetzungen vorhanden flottenübergreifend zu fliegen. Wer von den "altgedienten" Stewardessen wollte den schon Inland fliegen. Aber das war sicherlich nicht der offizielle Grund, vielmehr ging es um eine flexiblere und effektivere Planung über alle Flugstaffeln hinweg (westlich: Flotten). Das bedeutete zunächst einen hohen Aufwand an Schulungen für die Stewardessen, um auf allen Typen fliegen zu können. Aber ein weiterer Grund kam aus Richtung der Zentralen Parteileitung der IF, dessen "Big Boss" damals Bodo Jahn hieß, ein vom Neid auf das fliegende Personal zerfressener politischer Emporkömmling, der auch hätte Schauspieler werden können. Der Parteiführung war das zu "innige" Verhältnis zwischen Piloten und Stewardessen stets ein Dorn im Auge. Nirgendwo wurde der damalige Spruch "Die Ehen entstehen und enden in unseren Betrieben" mehr bestätigt als im Flugbetrieb des Verkehrsfluges. Dem mußte die moralwachende Partei natürlich entgegenwirken. Witz ist nur, dass ausgerechnet dieser Bodo Jahn später seine Sekretärin poppte und die Sache auch noch öffentlich wurde.
Um die neue Struktur im Flugbetrieb in die richtigen Bahnen zu lenken, setzte die zentrale Parteileitung auch gleich die 2. Sekretärin der Parteileitung, Lisa Glassmann, als neue Bereichsleiterin Kabinenpersonal (BL-KP)(so fortan die offizielle Bezeichnung) ein. Diese Frau hatte vom Flugbetrieb und vom Stewardessenberuf Null-Ahnung, aber das Parteibuch auf dem richtigen Fleck. Ich hielt sie damals dennoch nicht für die schlimmste Lösung, die uns hätte treffen können. Nach einigen Jahren wurde sie bereits durch eine ehemalige Stewardess, Frau Holländer, ersetzt.
Die Planung (Grundsatzplan) der Crews erfolgte in den fliegenden Struktureinheiten (Staffeln und KP). Das waren oft auch in den Staffeln Frauen, meist zwei. Letztlich zeichnete der Leiter (Staffelleiter) für den Monatsplan verantwortlich. Als input für den Einsatzplan gab es viele Größen. Ich nenne hier nur einmal einige, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- gleichmäßige Flustundenverteilung übers Jahr (monatlicher Versuch des Ausgleichs)
- Fliegen in Fluggruppen (6 Crews) und festen Besatzungen
- Trennung nach SW und NSW-Personal (NSW-Kader konnten zwar SW fliegen aber nicht umgekehrt)
- Einarbeitung der Ausbildungsflüge mit den Lehrberechtigen
- Einarbeitung der Kontroll- und Prüfungsflüge mit den Berechtigten
- Einarbeitung der Vorgaben des fliegenden leitenden Personals (flugstundenbegrenzte Flieger, die bestimmte Bürotage hatten oder bestimmte Flüge machen wollten oder mußten, Sonderwünsche
- persönliche Wünsche der Flieger (Geburtstage, Familienfeiern etc.)
- gesellschaftliche Anforderungen, wenn z.B. gewählte Funktionäre (Partei, FDGB etc) Termine hatten.
Diese Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig, zeigt aber bestimmt schon, wie kompliziert sich Einsatzplanung gestaltet.
War der Grundsatzplan fertig und vom Leiter bestätigt, kam er zum Monatsbeginn rüber in die Prozeßleitung Flugbetrieb (Volksmund: Einsatzlenkung) in den Block F (letzten Jahre - Gebäude wurde inzwischen abgerissen), welche nun die operative Erfüllung und die vielen operativen Änderungen vornahmen. Da solche Änderungen oft tief in den Grundsatzplan eingriffen, mußte meist mit der Staffel abgestimmt werden.
Die Pläne wurden auf eine Art Fensterladen geheftet, welcher dann nach vorn hinter eine Glasscheibe gedreht werden konnte, wo der Plan dann für das Personal einsehbar war. Persönliche Ausdrucke, wie heute üblich, gab es nicht. Man stand also außen (natürlich im Gebäude) vor der Glaswand, welche bald den hübschen "Kosenamen" Klagemauer bekam, und kritzelte sich seinen Monatsplan ins Notitzbuch. So manche Enttäuschung entlud sich dort. Da auch alle anderen Pläne dort aushingen, konnte man auch sehen, wer mit einem zusammenarbeiten mußte. Auch dort oft Enttäuschung oder Freunde.
Der Plan wurde auf einem karrierten Arbeitsblatt erstellt, wobei oben die Tage des Monats und links die Namen ausgeführt waren (Spreadsheet-Struktur). Die Struktur war, oben leitendes Personal, dann Fluggruppe für Fluggruppe in Blöcken darunter. In den sich so ergebenden Kästchen wurden die Flüge (diagonaler Strich, oberhalb des Striches der Destination im 3-Letter IATA-Code oder Liniennummer (?), unter dem Strich die Startzeit.) oder die anderen Maßnahmen mit einer Abkürzung einegetragen (z.B. FMK für Fliegertauglichkeitsuntersuchung).
Jeden Monat gab es eine Unmenge von operativen Planänderungen, deren Gründe vielfältig waren. Hier nur eine kleine Auflistung von Beispielen:
- Krankheit, oder Krankheit des Kindes, oder Fluguntauglichkeit
- Flugänderungen (vor allem bei Charter- und Sonderflügen)
- Änderungen in der Ausbildung, z.B. mehr Stunden erforderlich
- durchgefallene Kontroll- und Prüfungsflüge, zusätzliche Ausbildung, erneute Prüfung
- Änderungen von gesellschaftlichen Maßnahmen, Terminen
- kurzfristige Aufgaben und Dinestreisen (vor allem leitendes Personal)
- Mängel in der technischen Flugzeugbereitstellung, gestrichene Flüge
- Flüge kehren wegen techn. Mängel nicht planmäßig zurück
- zulässige Mindestruhezeiten (siehe FBH) u.s.w.
Man kann sich leicht vorstellen, dass eine Änderung oft eine Kette von Änderungen nach sich zog. Oft mußten gerade dann die Stafelplaner den operativen Planern helfen, was wiederum zum Leidwesen des Personals die Fertigstellung des nächsten Monatsplanes verzögerte. Der 'Plan war also alles andere als ein "Gesetz", mehr ein lockerer Vorschlag und vor allem das Fliegen in festen Besatzungen war mehr eine Illusion. Wie hier schon angesprochen, zu den Messesonderflügen, wurden rechtzeitig feste Besatzungen zusammengestellt und "bestätigt". Inwieweit das MfS da wirklich seine Finger drin hatte, entzieht sich meiner Kenntnis. Doch nauch hier konnten sich Änderungen ergeben. Sicherlich mußte stets in jeder dieser festen Besatzungen mindestens ein "Aufpasser" sein.
Zu den AN-24 Inlands-Umläufen:
Ja, es stimmt, die waren hart. Doch wir haben sehr bald aktiv dafür gekämpft, die schlimmsten Spitzen zu dämpfen. Umläufe, wie von Gabi geschildert, gab es bald nicht mehr. Barth-Umläufe waren so aufgebaut, dass man am ersten Tag füh begann, dann kreuz- und quer durch die DDR flog (SXF, DRS, ERF, LEJ, BAT), in der Regel 7 Flüge. Dann führte der letzte Flug des Tages nach Barth. Die Maschine blieb dort auch über Nacht. Die Crew schleif in einem kleinen Hotel in der Stadt (wahrscheinlich "Stadt Barth"). Man kam kurz vor Küchenschluß, insbesondere, wenn man mit etwas Verspätung kam, und mußte sich mit der Bestellung beeilen. Ich aß meist Bauernfrühstück. Dazu schnell noch ein Bierchen. (wäre heute nicht drin). Dann mußte man schnell schlafen, denn in der Frühe ging es wieder raus und der letzte Flug zurück nach SXF - Feierabend, den man nach dieser Übernachtung auch benötigte. Das Hotel war so ziemlich das letzte, was man in so einer Provinz wie Barth damals erwarten konnte. Wir hatten dabei noch die ruhigen Zimmer, mit Fensterchen zum Hof raus, doch auf dem dreckigen Hof gackerten früh die Hühner und es krähte der Hahn. Wecker war überflüssig. Früh dann ohne Frühstück raus zum Platz, dort in der Kantine noch etwas reingehauen (Barth war bekannt für die gute Bockwurst) und dann die Maschine und den Flug vorbereitet. Abflug Barth war immer ein Ereignis, insbesondere bei wenig Passagieren in der frühe.
Barth hatte eine Flugbeschränkung. Innerhalb der Flughafenkontrollzone durfte man nur 300m hoch fliegen. Kurz vor der Grenze wurde die Maschine dann schnell gemacht (insbesondere, wenn man neue Besatzungsmitglieder hatte, denen man noch alle Unarten beibringen mußte) und mit Erreichen der Grenze der Kontrollzone und der Steigflugfreigabe wurde dann der Fahrtüberschuß in Höhe weggezogen. Da stieg die kleine, eher schwache, AN-24 dann wie ein Jäger oder eine leerer A-310, zumindest für eine gewisse Zeit.
Zu Barth gäbe es sicherlich noch viel zu erzählen, aber das hat wenig mit Einsatzplanung zu tun.
Zu den "Barkas-Transporten":
Diese Art der Vor- oder Rücktransporte (heute: positioning oder dead head travel, transportation) betraff vor allem gehäuft die ausschließlichen SW-Crews. Sie flogen ja meist diese Turns.
Eine Barkas-Fahrt von LEJ nach SXF war sicherlich kein highlight des relaxten traveln, doch wären diese Transporte gerecht (was ist das? - gibt es auch heute in der Fliegerei noch nicht) auf alle crews verteilt gewesen, wäre es erträglich geblieben. Man konnte sich immerhin mal 2 Stunden in aller Ruhe unterhalten, wenn einem nicht gerade wegen der Fahrweise der Einsatzfahrer die Haare zu Berge standen, denn was da fuhr, da hatte man keinen Einfluß drauf.
Doch heutzutage müssen z.B. die Crews von Germania nach dem Flugeinsatz noch selber Einsatzfahrer spielen und die gesamte Crew im Mietauto von LEJ nach TXL fahren. Okay, bessere Autos, aber schlechtere Bedingungen. Nach Hennings fachlichen Erläuterungen entsprach ja der Barkas einem VW-Bus der damaligen Zeit. Was wollen wir also, dazu als begeisterte DDR-Bürger?
Das ist es, was mir auf die Schnelle dazu einfällt. Hoffentlich erinnere ich mich in allen Punkten richtig. Korrigiert mich bitte. Es ist alles schon lange her.
Glück ab, AK
Zuletzt geändert von alphakrit am Do 8. Dez 2005, 07:44, insgesamt 2-mal geändert.
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