Bei mir war das relativ einfach.
Es stand seit meinem dreizehnten Lebensjahr fest, dass ich zur Interflug wollte. Ich sah dazu einfach keine Alternative.
Ein paar Jahre später hatte Heinz Florian Oertel den Interflug-Generaldirektor Dr. Klaus Henkes in seiner Fernsehsendung "Porträt per Telefon" zu Gast. Er machte auf mich einen sehr guten Eindruck, was mich in meinem Entschluss noch weiter bestärkte. Während der Sendung kam man auch auf die Frage der Bewerbungen zu sprechen, woraufhin Dr. Henkes die Kontaktadresse bekannt gab. Diese hatte ich mir natürlich notiert und kurz danach auch einen Brief an die Abteilung Kader und Bildung geschickt. Darin hatte ich mich nach Einsatzmöglichkeiten bei der Interflug erkundigt. Nach wenigen Tagen bekam ich auch eine recht hilfreiche Antwort. Mir wurde zum Schluss empfohlen, mich kurz vor Beginn des Studiums noch einmal zu melden. Das habe ich auch nicht versäumt und mir wurde dann ein sogenannter Delegierungsvertrag angeboten. Delegierungsvertrag bedeutete, dass ein Betrieb einen Abiturienten oder einen seiner Mitarbeiter zum Studium an eine Hochschule oder Universität deligiert, ihn während des Studiums finanziell unterstützt, den Kontakt aufrecht erhält und ihn nach erfolgreichem Abschluss des Studiums in einer entsprechenden Position wieder einstellt.
Vor Studienbeginn reiste ich dann zum ersten Mal nach Schönefeld, suchte die sogenannten H-Baracken und fand die Abteilung Bildung. Dort wurde mein Delegierungsvertrag abgeschlossen und ich musste zum ersten Mal diese unselige Verwandschaftsaufstellung aufschreiben.
So bekam ich von der Interflug jedes Jahr gegen Vorlage der Kassenbelege einen bestimmten Betrag für Fachbücher. Während der Semesterferien konnte ich auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld als Ladearbeiter für Gepäck und Fracht auf dem Vorfeld arbeiten. Das war ein äusserst harter Job und hat mir daher ganz gut getan. Dabei habe ich angenehmerweise alle Flugzeugtypen von innen und aussen kennengelernt, die zu dieser Zeit Schönefeld angeflogen sind - und auch etwas Geld verdient.
Nach Abschluss des Studiums ging es dann am 1. März 1987 wie geplant direkt zur Interflug. Nachdem ich bei der schönen Kaderleiterin, d.h. der Personalchefin, mein Diplom vorgezeigt und zum x-ten Mal die Verwandschaftsliste ausgefüllt hatte, konnte ich dann (nach einem vierwöchigen Umweg) im Betrieb Flugsicherung in der Abteilung Automatisierte Flugleitsysteme anfangen.
Diese Abteilung war zuständig für den Betrieb folgender Systeme: Rundsichtradar Avia-D/Koren (Polen/UdSSR) mit Radardatenverarbeitungssystem Gamma-2 (Polen), Präzisionsanflugradar Tesla RP-4G (CSSR), System SESA KLB5 (Frankreich), auch SCC-230 genannt, mit den Teilsystemen AFTN-Vermittlungszentrale (Frankreich), NOTAM-Datenbank NODAB (DDR/IF), OPMET-Datenbank (DDR/IF+Meteorologischer Dienst) und Flugplan-Datenbank (DDR/IF). Das war einfach alles spannend und hoch interessant. (Deshalb musste ich das jetzt im Detail aufschreiben.)
Da in der DDR permanent Wohnungsmangel herrschte, landete ich natürlich auch im betriebseigenen Wohnheim in "Steintal". Das war die auch heute noch gebräuchliche Bezeichnung für das kleine Plattenbau-Wohngebiet am Seeweg in direkter Nähe zum Flughafen. Dort wohnten relativ viele Interflug-Mitarbeiter.
Es hiess sogar, dass jeder richtige Interflieger einmal im Leben durch "Steintal" gehen müsse - und sei es nach einer Ehescheidung.
Letztere bedeutete für das fliegende Personal jedoch in der Regel einen herben Karriereknick wegen des pauschalen Verdachts der nun potentiellen Neigung zur "Republikflucht".
